Diese Rechenbeispiele dienen dazu, ein besseres Verständnis zu erlangen, warum Brot während des Backens ein Porennetzwerk ausbildet und die Krume nicht aus vielen kleinen isolierten Einzelblasen besteht. Aufgabe 1 verdeutlicht anhand konkreter Zahlen, warum Brot im Ofen so stark aufgeht. Aufgabe 2 zeigt auf, welch starker Druck sich in den Gasblasen beim Backen des Brotteiges aufbaut.
Beide Aufgaben lassen sich anhand zweier einfacher physikalischer Gleichungen lösen: der Young-Laplace-Gleichung und dem Idealen Gasgesetz.
p = Druck
γ = Oberflächenspannung
r = Radius
V = Volumen
n = Stoffmenge
R = Universelle Gaskonstante
T = Temperatur
Gerne kannst du versuchen, die Aufgaben selbstständig zu lösen, bevor du dir meinen Lösungsweg anschaust. Aber auch wenn du die Aufgaben nicht lösen kannst oder willst, so empfehle ich dir trotzdem einen Blick in den Lösungsweg. Diese Rechenaufgaben verdeutlichen anhand konkreter Zahlen ein Schlüsselkonzept der vorangegangenen Lektion: Was passiert beim Backen im Brotteig?
Aufgabe 1: Ungestörte Volumenexpansion von Gasblasen beim Backen
Ein Baguetteteig besitzt kurz vor dem Backen einen mittleren Gasblasendurchmesser von 0,7 Millimetern. Das Teiginnere wird im Ofen von 25 °C auf 100 °C erhitzt. Angenommen, die Teigmatrix ist unbegrenzt dehnbar und reißt nicht. Auf welches Blasenvolumen wächst die Gasblase an, wenn der Überdruck in der Gasblase bei 100 °C auf 5 Pascal absinkt? Nehme an, dass die Gasblase zu einhundert Prozent aus Kohlendioxid besteht und kein neues Gas in der Form von Wasserdampf, Alkohol oder Kohlendioxid während der Volumenexpansion in der Gasblase eingeschlossen wird. Die Oberflächenspannung an der Gas/Teig-Grenzfläche beträgt 0,004 N/m bei 25 °C.
Lösungsweg Aufgabe 1:
Zunächst berechnen wir das Ausgangsvolumen einer kugelförmigen Gasblase mit einem Durchmesser von 0,7 Millimetern:
Nun benötigen wir die ideale Gasgleichung, um die Stoffmenge an Kohlendioxid in der Gasblase zu berechnen. Für die ideale Gasgleichung benötigen wir den Druck in der Gasblase, denn wir im ersten Rechenschritt mit der Young-Laplace-Gleichung berechnen:
Das Volumen der expandierten Gasblase bei 100 °C beträgt folglich:
Sofern die Blasenoberfläche nicht reißt und ungestört expandieren kann, vergrößert die Gasblase im Ofen ihr Volumen von 0,18 Kubikmillimeter auf 1 Kubikmillimeter. Dies ist etwa das Fünffache des Ausgangsvolumens.
Aufgabe 2: Begrenzte Volumenexpansion von Gasblasen
Die im Brotteig vorhandene Stärke verkleistert bei einer Temperatur von 65 °C. Ab diesem Zeitpunkt nimmt die Teigviskosität rapide zu und die Gasblasen können sich nicht mehr ungestört ausdehnen. Berechne den Überdruck, der in einer Gasblase bei Temperaturen von 65 und 100 °C herrscht. Das Volumen der Gasblase nimmt ab 65 °C nicht weiter zu, dafür lagert sich aber eine größere Menge an neuem Gas (verdampfendes Wasser und Kohlendioxid) in der Blase an.
Annahmen:
konstantes Volumen der Gasblase bei 65 °C und 100 °C: 1 Kubikmillimeter
Stoffmengenkonzentration der Gasblase bei 65 °C: 2 x 10^-12 mol
Stoffmengenkonzentration der Gasblase bei 100 °C: 5 x 10^-10 mol
Lösungsweg Aufgabe 2:
Zunächst berechnen wir den Druck in der Gasblase bei 65 °C:
Nun berechnen wir den Druck in der Gasblase bei 100 °C:
Wie in diesem Beispiel schön zu sehen ist, steigt der Überdruck in den Gasblasen bei höheren Temperaturen rapide an. Diesem Überdruck kann die Teigmatrix nicht standhalten. Deshalb kommt es zu Rissen an der Blasenoberfläche. Überschüssiges Gas entweicht dem Teig und die Gasblasen vernetzen sich zu einem kontinuierlichen Porennetzwerk im Teig. Die Krume, wie wir sie von gebackenem Brot kennen, entwickelt sich.
In der untenstehenden Abbildung kannst du noch einmal schön sehen, wie sich der Überdruck in den Gasblasen im Teig während des Backens aufbaut. Sobald die Blasen reißen und überschüssiges Kohlendioxid dem Teig entweichen kann, fällt der Druck rapide ab.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Backprozess in zwei Backphasen unterteilt:
die Anbackphase, in der der Teig im Ofen aufgeht und sich verfestigt
die Ausbackphase, in der die Kruste goldbraun ausgebacken wird
Aus technologischer Sicht ist vor allem die Anbackphase interessant. In der Ausbackphase ist das Brot bereits vollständig durchgebacken. Das Ausbacken dient lediglich dazu, die Brotkruste zu dehydrieren und bräunen zu lassen.
Die Anbackphase ist dadurch gekennzeichnet, dass:
1. Wasser, Kohlendioxid (in der wässrigen Teigmatrix gelöstes) und Alkohol verdampfen. Die Gasblasen im Teig wachsen an, sofern sie in der Lage sind, das neu gebildete Gas zu stabilisieren.
2. Die Stärke verkleistert und die Weizenproteine koagulieren (denaturieren). Die Struktur des Brotteigs verfestigt sich, sodass Gasblasen nur noch sehr schwer anwachsen können. Hefezellen werden abgetötet und Enzyme inaktiviert.
3. Das Gas im Teig dehnt sich mit steigenden Teigtemperaturen immer weiter aus. Der Druck in den Gasblasen im Teig steigt immer weiter an, da die Teigmatrix um die Gasblasen herum gefestigt ist und keine weitere Ausdehnung der Gasblasen erlaubt. Der Druck in den Gasblasen steigt soweit an, dass es zu Brüchen in der Teigmatrix kommt. Überschüssiges Gas kann nun dem Teig entweichen. Die Gasblasen im Teig verschmelzen an den Bruchstellen und bilden so ein poröses Netzwerk an Gasblasen aus. Die Brotkrume sieht nun so aus, wie wir es von frisch gebackenem Brot kennen.
Wärme- und Massentransfer im Ofen
Während des Backvorgangs findet sowohl ein Wärmetransfer als auch ein Massentransfer statt:
Wärmetransfer: Wärme wird von den Heizelementen im Ofen und optional zusätzlich von einem Backstein in den Brotteig transferiert.
Massentransfer: Wasser und Gase, die der Brotteig nicht stabilisieren kann, entweichen dem Brotteig in die umliegende Ofenatmosphäre.
Der Wärmetransfer in den Brotteig bewirkt, dass die Temperatur im Kern des Teiges auf bis zu 100 °C ansteigt. Höhere Temperaturen kann das Innere des Brotteiges nicht erreichen, da der Brotteig viel Wasser enthält. Das Wasser verdampft bei Temperaturen über 100 °C und kühlt die Umgebung ab, da das Verdampfen von Wasser ein exothermer Prozess ist, der Energie verbraucht. Das Verdampfen des Wassers bewirkt eine Verdunstungskühlung, die die Temperatur im Inneren des Brotteigs konstant bei etwa 100 °C hält.
Die Brotkruste erreicht viel höhere Temperaturen, da sie im Laufe des Backprozesses dehydriert wird. Die Temperatur der Brotkruste steigt in den ersten zehn bis fünfzehn Minuten des Backprozesses rapide auf über 150 °C an. Dann verlangsamt sich die Temperaturzunahme immer stärker, da die Temperaturdifferenz zwischen der Umgebungsluft und der Brotkruste immer kleiner wird. Die Brotkrustentemperatur steigt solange weiter an, bis sie nahezu identisch mit der Umgebungstemperatur ist.
Ab Krustentemperaturen von etwa 105 bis 115 °C beginnt die Bräunung der Brotkruste, die Maillard-Reaktion. Diese Bräunungsreaktion erzeugt dunkelfarbene Aromastoffe, die die Brotkruste besonders aromatisch machen. Da die Maillard-Reaktion erst ab Temperaturen von über 100 °C in Gang kommt, bilden sich keine Röstaromen im Inneren des Brotteiges aus.
Durch den Massentransfer von Wasser im Brotteig in die umgebende Ofenatmosphäre verliert das Brot mit zunehmender Backzeit linear an Gewicht. Dieser Gewichtsverlust des Brotes im Ofen wird als Backverlust bezeichnet. Dennoch bewirkt der Backverlust nicht, dass das Brot im Inneren austrocknet. Das Wasser, welches das Brot an die Umgebung verliert, stammt aus der dehydrierten Kruste.
Der Grund, warum der Feuchtegehalt im Inneren des Brotteiges konstant bleibt, ist folgender: Das Innere des Brotteigs ist mit Wasserdampf übersättigt. Dies führt dazu, dass verdampfendes Wasser im Brotinneren sich wieder verflüssigt (kondensiert), da die Luft im Teig keinen weiteren Wasserdampf mehr aufnehmen kann. Das Wasser in der Brotkruste hingegen verdampft direkt in die Umgebungsluft im Ofen, die den Wasserdampf aufnehmen kann, sodass dieser nicht wieder kondensiert. Du brauchst also keine Angst zu haben, die Brotkrume durch eine zu lange Backzeit auszutrocknen. Je länger du das Brot ausbackst, desto trockener, dunkler und knuspriger wird die Kruste. Die Krume hingegen bleibt saftig.
Warum backen Bäcker mit Dampf?
Du hast vermutlich in Backrezepten schon oft gelesen, dass ein Brot mit Dampf/ Schwaden angebacken werden soll. Doch warum wird Dampf in den Ofen zu Beginn des Backprozesses injiziert?
Zum einen verleiht die Dampfinjektion dem Brot eine schöne glänzende Kruste. Glänzendes Brot sieht besser aus als mattes Brot. Für den Glanz der Brotkruste verantwortlich ist die Stärke, welche verkleistert. Stärke benötigt zum Verkleistern Wasser. Der Verkleisterungsprozess ist dadurch gekennzeichnet, dass die Stärkekörner Wasser einschließen, immer weiter aufquellen und schließlich aufplatzen. Steht kein Wasser zur Verfügung, so verkleistert die Stärke nicht. An der Teigoberfläche herrscht Wassermangel, weshalb ein großer Teil der Stärke an der Teigoberfläche nicht verkleistert. Eine Wasserdampfinjektion sorgt dafür, dass an der Teigoberfläche mehr Wasser für die Stärke zur Verfügung steht, sodass mehr Stärke verkleistern kann und dem Brot so einen schönen Glanz verleiht.
Dampfnudeln haben eine schöne glänzende Kruste, da sie durchgehend mit Dampf gegart werden.
Aber der Dampf hat auch noch einen weiteren Effekt. Da die Teigoberfläche im Vergleich zur umgebenden heißen Ofenluft sehr kalt ist, kondensiert ein Teil des Wasserdampfs auf der Teigoberfläche. Dieses Kondenswasser muss verdampft werden, bevor die Brotkruste dehydrieren kann. Wasser zeichnet sich dadurch aus, dass es eine extrem hohe spezifische Wärmekapazität von 4,2 kJ/(kg·K) aufweist. Um Wasser zu erhitzen und zu verdampfen, bedarf es folglich einer sehr hohen Energiezufuhr.
Die Brotkruste eines Teiges, der mit Kondenswasser bedeckt ist, heizt sich langsamer auf als eine trockene Brotkruste mit geringerem Wassergehalt, da das Wasser eine enorme Menge an Wärmeenergie aufnimmt. Ist das Kondenswasser dann soweit erwärmt, dass es verdampft, dann kühlt es zusätzlich die Teigoberfläche. Stichwort: Verdunstungskühlung. Erst wenn das Kondenswasser wieder vollständig von der Teigoberfläche verdampft ist, steigt die Krustentemperatur rapide an.
Die Teigkruste bleibt durch den langsameren Temperaturanstieg infolge des sich aufheizenden und verdampfenden Kondenswassers länger weich. Der Teig hat folglich mehr Zeit, im Ofen aufzugehen, bevor die feste Kruste die Volumenzunahme des Teiges blockiert.
In der ersten Lektion sowie in den Lektionen zu Hefe, Gluten und Lipiden habe ich bereits vielfach erwähnt, dass Brotteig ein Schaum ist. Ein Schaum ist eine Dispersion von Gasblasen in einer Flüssigkeit. Im Falle von Brot ist die die Gasblasen umgebende “Flüssigkeit” die wässrige Teigmatrix. Nicht alle Lebensmittel lassen sich aufschäumen, da Gasblasen im Teig stabilisiert werden müssen, um Bestand zu haben.
Der Grund, warum Gasblasen nicht ohne Stabilisatoren wie beispielsweise Glutenproteine oder Fettkristallen bestand haben, liegt darin begründet, dass in den Gasblasen ein Überdruck im Verhältnis zu der umgebenden Flüssigkeit herrscht. Wird diesem Überdruck nicht entgegengewirkt, so entweicht das Gas dem Teig. Im Falle von Weizenbrot bilden die Glutenproteine und auch kristalline Fette eine feste Barriere an der Gasblasenoberfläche, die es verhindert, das Gasblasen dem Teig entweichen.
Der Überdruck in einer Gasblase lässt sich mithilfe der Young-Laplace-Gleichung berechnen. Die untenstehende Formel gilt für kugelförmige Gasblasen, die von einer wässrigen Matrix umschlossen werden:
Δp = Überdruck in der Gasblase
γ = Oberflächenspannung
r = Radius der Gasblase
Die folgenden vier Aufgaben lassen sich mit der Young-Laplace-Gleichung lösen. Du kannst gerne versuchen, die Aufgaben selbst zu lösen, bevor du dir meinen Lösungsweg anschaust. Aber auch wenn du die Aufgaben nicht lösen willst oder kannst, so schaue dir auf jeden Fall meinen Lösungsweg an. Diese Aufgaben dienen nicht dazu, deine Rechenkenntnisse zu testen. Sie dienen dem besseren Verständnis der physikalischen Vorgänge im Brotteig während der Teigfermentation.
Aufgabe 1: Mischen und Kneten des Brotteigs
Ein Weizenbrotteig wird solange geknetet, bis das Glutennetzwerk gut entwickelt ist. Nach dem Mischen misst du die Gasblasengrößenverteilung im unfermentiertem Teig. Hierbei stellt sich heraus, dass die runden Gasblasen im Teig einen Durchmesser von durchschnittlich 0,1 Millimeter aufweisen. Die Oberflächenspannung an der Grenzfläche zwischen Gasblasen und wässriger Teigmatrix beträgt 0,003 N/m. Welcher Überdruck herrscht in den Gasblasen im Teig?
Lösungsweg Aufgabe 1:
Aufgabe 1 lässt sich ganz einfach mithilfe der Young-Laplace-Gleichung lösen:
Konkret sagt dieser Wert aus: Um eine neue Gasblase mit einem Durchmesser von 0,1 Millimeter in die wässrige Teigmatrix einzubringen, muss ein Überdruck von 120 Pascal stabilisiert werden. Je kleiner die Gasblasen, desto höher der Überdruck in den Blasen.
Aufgabe 2: Gasblasenentwicklung während der Teigfermentation
Ein Brotteig wird nach dem Kneten für zwei Stunden gehen gelassen. Der mittlere Gasblasendurchmesser wächst von 0,1 Millimeter auf 0,6 Millimeter an. Wieviel kleiner ist der Überdruck in den Gasblasen im expandierten Brotteig im Verhältnis zum Brotteig nach dem Mischen?
Lösungsweg Aufgabe 2:
Aufgabe 2 lässt sich in gleicher Weise wie Aufgabe 1 lösen:
Die expandierten Gasblasen im Teig nach zwei Stunden besitzen einen sechsfach geringeren Überdruck als die nicht expandierten Gasblasen nach dem Mischen.
Aufgabe 3: Ostwald-Reifung
Da die Natur immer darauf bedacht ist, Überdruck abzubauen, sind Schäume instabil. Für den Schaumzerfall verantwortlich sind zwei Mechanismen:
Disproportionierung (Ostwald-Reifung): Größere Gasblasen wachsen auf Kosten der kleineren. Gasmoleküle wandern von den kleineren Blasen mit dem höheren Innendruck zu den größeren Blasen mit dem geringeren Innendruck, bis die kleineren Blasen komplett verschwunden sind.
Koaleszenz: Zwei Gasblasen verschmelzen miteinander und bilden so eine größere Gasblase mit einem geringeren Überdruck als die beiden Ausgangsblasen in Summe aus.
Die Disproportionierung spielt im Brotteig so gut wie keine Rolle, da die Hefe während der Teigfermentation ein Überangebot an Kohlendioxid erzeugt. Das Kohlendioxid lagert sich bevorzugt an größeren Gasblasen mit einem geringeren Überdruck an oder entweicht dem Teig, wenn es im starken Überschuss vorhanden ist. Die kleinen Gasblasen wachsen kaum, verlieren aber auch kein Kohlendioxid an die größeren Blasen, da Kohlendioxid im Überschuss gelöst in der wässrigen Teigmatrix vorhanden ist.
Aufgabe: Ein aufgegangener Brotteig enthält kleinere Gasblasen mit einem mittleren Durchmesser von 0,5 Millimeter und größere Gasblasen mit einem mittleren Durchmesser von 0,8 Millimeter. Welche Druckdifferenz herrscht zwischen den kleinen und großen Gasblasen, die die Gasmoleküle in den kleineren Gasblasen dazu bewegt, zu den größeren Gasblasen zu migrieren, um einen Druckausgleich zu erzielen?
Lösungsweg Aufgabe 3:
In den größeren Gasblasen herrscht ein Unterdruck von 9 Pascal im Vergleich zu den kleineren Gasblasen. Dies bewirkt, dass Gasmoleküle vom Ort des Überdrucks (die kleinen Gasblasen) zum Ort des Unterdrucks (die großen Gasblasen) wandern. Durch ihre Migration bewirken die Gasblasen aber keinen Druckausgleich zwischen den Gasblasen. Ganz im Gegenteil: der Druckunterschied steigt immer weiter an. Irgendwann sind alle Gasmoleküle aus der kleineren Gasblase in die größere Gasblase gewandert, sodass die kleine Gasblase verschwindet. Dieser Vorgang wird Ostwald-Reifung genannt. Er findet im Brotteig gar nicht oder maximal in sehr begrenztem Umfang statt.
Aufgabe 4: Koaleszenz
Im Gegensatz zur Disproportionierung spielt die Koaleszenz eine wichtige Rolle im Brotteig. Wachsen Gasblasen an, so wächst auch deren Oberfläche, die stabilisiert werden muss. Wird das Glutennetzwerk überdehnt, so kann es dazu kommen, dass Glutenstränge reißen und nicht mehr die gesamte Gasblasenoberfläche bedecken. Gasblasen, deren Oberfläche nicht vollumfänglich stabilisiert wird, verschmelzen dann mit benachbarten Gasblasen, die ebenfalls nicht vollständig stabilisiert sind. In fettreichen Teigen wird dieses verschmelzen von Gasblasen verhindert, indem kristalline Fettmoleküle dabei helfen, die Gasblasenoberfläche so gut zu stabilisieren, dass die Gasblasen nicht miteinander zu größeren Blasen verschmelzen. Fettreiche Brote weisen daher eine besonders feine Krumenporung ohne große Löcher auf.
Aufgabe: Du backst Baguettes. Die Baguettes hast du bereits geformt. Du wartest nun, bis sie bereit für den Ofen sind. Während der Stückgare verschmelzen zwei kugelförmige Gasblasen mit Durchmessern von 0,4 und 0,6 Millimetern miteinander. Wieviel geringer ist der Überdruck in der verschmolzenen Blase als die Summe der Überdrücke der beiden einzelnen Blasen?
Lösungsweg Aufgabe 4:
Zunächst berechnen wir die Summe der Überdrücke der beiden Einzelblasen:
Nun berechnen wir den Radius der verschmolzenen Gasblase:
In der verschmolzenen Gasblase herrscht ein Überdruck von:
Die verschmolzene Blase hat einen um 32 Pascal geringeren Überdruck als die Summe der Überdrücke der beiden Einzelblasen.
Lipide sind Moleküle, die sich in Wasser gar nicht oder nur extrem schwer lösen lassen. Lipide werden als wasserabweisend – hydrophob – bezeichnet. Umgangssprachlich werden Lipide oft mit dem Begriff Fett gleichgesetzt. Streng genommen sind die Fette aber nur eine Untergruppe der Lipide.
Neben den Fetten zählen beispielsweise auch Wachse, Steroide, Carotinoide, freie Fettsäuren und fettlösliche Vitamine zur Stoffgruppe der Lipide. Das alles sind aber nur einige wenige Beispiele für Mitglieder der extrem vielfältigen Stoffklasse der Lipide.
Die Lipide im Brotteig lassen sich unterteilen in:
mehleigene Lipide
Fette und Öle (z.B. Butter, Schweineschmalz, Sonnenblumenöl)
grenzflächenaktive Stoffe, im Englischen Surfactants genannt (umgangssprachlich oft als Emulgatoren bezeichnet)
Diese Lektion beschäftigt sich ausschließlich mit den mehleigenen Lipiden sowie den Fetten und Ölen. Die technofunktionellen Eigenschaften grenzflächenaktiver Stoffe werde ich in einer Extralektion zu Emulgatoren als Backmittel im Detail erläutern.
Die technofunktionellen Eigenschaften der mehleigenen Lipide im Brotteig
Welche Lipide finden sich im Weizenmehl?
Weizenmehl enthält etwa 2 bis 2,5 Gramm mehleigene Lipide pro 100 Gramm Mehl. Die mehleigenen Lipide lassen sich grob unterteilen in polare und unpolare Lipide. Die polaren Lipide sind hauptsächlich Membranlipide, wohingegen die unpolaren Lipide Fette, Mono- und Diglyceride sowie freie Fettsäuren sind. In polaren Molekülen sind die Elektronen ungleichmäßig verteilt. Dies sorgt dafür, dass polare Moleküle Ladungsschwerpunkte aufweisen. In unpolaren Molekülen hingegen ist die Ladung über das gesamte Molekül hinweg gleich verteilt.
In der Chemie gilt der Grundsatz: Gleiches löst sich in Gleichem. Dennoch sind auch polare Lipide nicht im ebenfalls polaren Lösungsmittel Wasser löslich. Der unpolare Anteil in den polaren Lipiden ist immer noch so groß, dass auch polare Lipide wasserabweisend sind. Der Begriff polare Lipide ist nur ein Indikator dafür, dass diese Lipide etwas weniger wasserabweisend sind als unpolare Lipide.
Neben der Unterteilung in polare und unpolare Lipide lassen sich die Weizenlipide auch unterteilen in freie und gebundene Lipide. Für das Brotbacken interessant sind die freien Lipide. Die gebundenen Lipide sind bereits fest an verschiedene Mehlbestandteile wie beispielsweise die Stärke oder Funktionsproteine gebunden und greifen nicht aktiv in den Backprozess ein.
Was bewirken die freien Weizenlipide im Brotteig?
Ein Teil der freien Weizenlipide bindet beim Mischen und Kneten des Teiges an die Glutenproteine oder wird von diesen eingeschlossen (siehe untenstehende Abbildung).
Freie Lipide binden während der Misch- und Knetphase an Teigbestandteile wie beispielsweise die Glutenproteine oder Stärke. Bildquelle: Wiley Online Library
Die mit dem Glutennetzwerk assoziierten Weizenlipide machen die Glutenproteine ein Stück weit wasserabweisender. Glutenproteine sind amphiphile Moleküle. Sie weisen sowohl wasserabweisende (hydrophobe) als auch wasserliebende (hydrophile) Bereiche auf.
Wie bereits in der ersten Lektion erwähnt, koexistieren in einem Schaum wie beispielsweise Brotteig zwei Phasen:
die kontinuierliche Phase: die wässrige Teigmatrix
die dispergierte Phase: die eingeschlossenen Gasblasen
Glutenproteine als amphiphile Moleküle umschließen die Gasblasen im Teig. Der Grund: Die wasserabweisenden Bereiche der Proteine fühlen sich an der Oberfläche der Gasblasen wohl, da sie nicht mit Wasser in Kontakt treten möchten. Die wasserliebenden Bereiche der Glutenproteine hingegen fühlen sich in Umgebung der wässrigen Teigmatrix wohl, sodass sie an der Grenzfläche von den Gasblasen weg zur wässrigen Teigmatrix hin sich anordnen. Eine Win-Win-Situation für die wasserabweisenden als auch für die wasserliebenden Bereiche, da sie sich beide gleichzeitig in vertrauter Umgebung aufhalten können.
Freie Weizenlipide, die während des Mischen und Kneten des Teiges an die Glutenproteine binden oder von diesen eingeschlossen werden, ermöglichen es dem Glutennetzwerk eine größere Gasblasenoberfläche zu stabilisieren. Der Grund: Je mehr wasserabweisende Bereiche die Glutenproteine aufweisen, desto mehr Fläche haben sie zur Verfügung, mit der Sie sich an der Gasblasenoberfläche anlagern können. Weizenmehl mit einem hohen Anteil freier Lipide, die an das Glutennetzwerk binden, bildet Teige aus, die Gasblasen besser stabilisieren können als Mehl mit einem hohen Anteil anderweitig gebundener Lipide. Das Resultat sind luftig leichte Brötchen mit viel Volumen.
Um noch mehr ins Detail zu gehen: Die polaren freien Lipide sind es, die dabei helfen, Gasblasen zu stabilisieren. Die unpolaren freien Lipide hingegen destabilisieren Gasblasen. Der Grund hierfür: Den polaren freien Lipiden fällt es leichter an die Glutenproteine, welche ebenfalls viele polare Bereiche aufweisen, zu binden. Viele unpolare freie Lipide hingegen verbleiben als freie Moleküle im Teig und lagern sich alleine an der Gasblasenoberfläche an. Die unpolaren Lipide treten in Konkurrenz mit den Glutenproteinen an der Grenzfläche, was zu einer Destabilisierung der Gasblasen führt.
Eine weitere Theorie dafür, wie freie Lipide – die an das Glutennetzwerk binden – Gasblasen im Teig stabilisieren, besagt, dass die Lipide Brücken zwischen dem Gluten und der Stärke ausbilden. Diese Brücken machen das Glutennetzwerk und somit auch den Teig fester, wodurch Gasblasen besser stabilisiert werden können.
Zudem helfen Lipide dabei, ein stärkeres Glutennetzwerk auszubilden, da sie die elektrostatische Abstoßung zwischen den Glutenproteinen reduzieren, da negativ geladene Bereiche der Lipide positiv geladene Bereiche der Glutenproteine bedecken. Stoßen sich die Glutenproteine weniger voneinander ab, so fällt es ihnen leichter, in engen Kontakt zu treten und so ein starkes Netzwerk auszubilden. Diesem Phänomen sind wir bereits in der Lektion zu Salz begegnet, da negativ geladenen Chloridionen ebenfalls sich abstoßende positive geladene Bereiche der Glutenproteine neutralisieren können.
Weizenlipide als natürliche Farbstoffe
Neben der Stabilisation der Teigmatrix und von Gasblasen ist ein Teil der Weizenlipide, die Carotinoide verantwortlich für die natürliche gelbliche Färbung der Brotkrume. Die Carotinoide sind Farbpigmente, wie man sie auch in beispielsweise Karotten (orange) und Tomaten (rot) vorfindet. Aber Achtung: Die Carotenoide sind besonders empfindlich für einen oxidativen Abbau. Wer eine besonders goldgelbe Krume erreichen möchte, der sollte den Teig gar nicht (“no knead”), sanft oder gegebenenfalls sogar unter Sauerstoffausschluss, beispielsweise in einer Stickstoffatmosphäre kneten.
Die technofunktionellen Eigenschaften der Fette und Öle im Brotteig
Was passiert mit zugegebenen Fetten und Ölen im Brotteig?
Wie auch die freien mehleigenen Lipide können dem Teig zugegebenen Fette und Öle an die Glutenproteine binden. Allerdings ist die Anzahl an freien Bindungsstellen im Glutennetzwerk begrenzt, sodass zugesetzte Fette mit den mehleigenen freien Lipiden um Bindungsplätze konkurrieren. Konkret heißt das: Ein Großteil des zugegebenen Fetts bindet nicht an das Gluten, sondern liegt frei im Teig vor.
Was machen die freien Fette im Teig? Zum einem umschließen sie Glutenstränge, was dazu führt, dass der Teig plastischer wird. Das Glutennetzwerk kann sich weniger gut quervernetzen und bildet mehr dünne und leicht dehnbare Glutenstränge aus. Bestes Beispiel: Strudelteig, der sich dank dem Öl besonders gut ausziehen lässt, ohne dass der Teig viel Widerstand beim Ausziehen zeigt.
Wer hingegen Schweineschmalz anstatt Öl in den Strudelteig gibt, der erfährt ein anderes Phänomen: Der Teig reißt extrem schnell. Der Grund: Fettkristalle in der Teigmatrix mindern die Dehnbarkeit. Kristalline Fette geben Brot einen kurzen Biss, weshalb im Englischen gehärtete Pflanzenfette Shortening genannt werden.
Die Vorteile von kristallinem Fett gegenüber flüssigem Öl
Eine besonders tolle Funktion der kristallinen Fette ist, dass diese mithelfen bei der Gasblasenstabilisierung im Brotteig. Flüssige Öle können dies nicht! Flüssige Öle lagern sich wie kristalline Fette auch an der Gasblasenoberfläche an und destabilisieren diese, da flüssige Öle keine feste Barriere bilden können, um die Gasblasen zu stabilisieren. Die kristallinen Fette hingegen bilden Komplexe mit den Glutenproteinen an der Gasoberfläche und helfen dabei, eine stabile Barriere zwischen Gasblase und Teigmatrix aufzubauen.
Brote mit viel zugegebenem kristallinem Fett, wie beispielsweise Hefezopf oder Brioche, sind luftig weich mit einer wattigen Krume. Dennoch finden sich in solchen Teigen keine großen Luftblasen. Warum? Die kristallinen Fette helfen dabei, viele kleine Gasblasen zu stabilisieren und hindern diese daran, mit anderen Gasblasen zu verschmelzen.
Viele kleine Gasblasen im Teig sorgen dafür, dass eine riesige Grenzfläche stabilisiert werden muss. Kann nicht die gesamte Grenzfläche mithilfe einer festen Barriere aus Glutenproteinen und Fettkristallen stabilisiert werden, so verschmelzen Gasblasen miteinander. Im Teig befinden sich dadurch weniger, dafür aber größere Gasblasen, die in Summe eine geringere Grenzfläche aufweisen als viele kleine Gasblasen. Dies ist beispielsweise im Baguette der Fall, wo die Porung der Krume offen und ungleichmäßig ist. Dem Baguetteteig wird traditionell kein Fett zugegeben.
Im Briocheteig hingegen wird mit viel kristallinem Butterfett gearbeitet. Freie Fettkristalle sind im Überschuss vorhanden, die sich an der Grenzfläche von kleinen Gasblasen anlagern können und diese daran hindern, mit anderen Gasblasen zu verschmelzen. Das Ergebnis ist eine Brotkrume, die mehr, dafür aber viel kleinere Poren als die Baguettekrume aufweist. Eine Scheibe Brioche lässt sich super mit Marmelade bestreichen, da sie keine großen Löcher wie das Baguette enthält. Dies verdanken wir dem kristallinen Butterfett.
Ein weiterer kleiner Bonus von Fetten und Ölen ist, dass sie das Altbackenwerden von Backwaren etwas hinauszögern können. Der Grund: Das Fett bildet eine Art Barriere, die es dem Wasser erschwert, dem Brot während der Lagerung zu entfliehen.
Klar: Zucker und Salz sind Geschmacksträger und Geschmacksverstärker. Doch sie erfüllen auch noch weitere technologische Funktionen im Brotteig.
Salz und Zucker hemmen die Hefeaktivität
In den vorigen Lektionen zur Hefe haben wir bereits gelernt, dass Salz und Zucker osmotisch aktive Substanzen sind. Sie bewirken im Brotteig, dass die Hefezellen einen osmotischen Schock erfahren. Die Hefezellen schrumpfen, da ihnen Wasser entzogen wird und produzieren im Zuge ihrer Stressreaktion weniger Kohlendioxid. Der Teig geht langsamer auf.
Enthält ein Brotteig weder Salz noch Zucker, so geht er extrem schnell auf, da die Hefe ungehemmt aktiv ist. Das Resultat ist ein Brot, das geschmacklich enttäuscht, da die Mikroorganismen im Teig nicht genug Zeit hatten, ausreichend Aromastoffe zu bilden. Doch selbst wenn die Mikroorganismen im Teig lange genug Zeit hatten, Aromastoffe auszubilden, so schmeckt ein Brot ganz ohne Salz sehr fade und gewöhnungsbedürftig für den Deutschen Gaumen.
Ein weiteres Problem von Brotteigen ohne Salz oder Zucker ist das kurze Zeitfenster, in dem der Teig reif für den Ofen ist. Wird ein Teig zu früh mit Untergare in den Ofen geschoben, so reißt er überall unkontrolliert auf oder er geht im Ofen gar nicht auf und das Brot wird hart wie ein Stein. Wird der Teig hingegen zu spät in den Ofen geschoben, so läuft das Brot im Ofen in die Breite. Indem sie die Hefeaktivität hemmen, verlängern Salz und Zucker das Zeitfenster, in dem der Teig reif für den Ofen ist und ein gutes Brot ergibt.
Salz stärkt das Glutennetzwerk
Brotteige, die Salz enthalten, müssen länger geknetet werden als Teige, die kein Salz enthalten. Der Grund: Salz erschwert es, den Glutenproteinen zu hydrieren. Die Grundvoraussetzung zur Ausbildung des Glutennetzwerks ist es, dass die Glutenproteine im hydrierten Zustand vorliegen. Im trockenen Zustand ist keine Netzwerkbildung möglich.
Ungesäuerter Brotteig besitzt eine pH-Wert von etwa 6. Die Glutenproteine sind im leicht sauren pH-Bereich positiv geladen. Dies führt dazu, dass die positiv geladenen Bereiche der Glutenproteine sich voneinander abstoßen. Das macht es dem Wasser leichter, in Lücken zwischen den Glutenproteinen einzudringen und diese zu hydrieren.
Kochsalz ist eine ionische Verbindung, bestehend aus einem positiv geladenen Natriumion und einem negativ geladenen Chloridion. Wie wir bereits in der Hefelektion gelernt haben, dissoziiert Kochsalz in wässriger Lösung in seine zwei Grundbestandteile: Natrium- und Chloridionen.
Die negativ geladenen Chloridionen lagern sich aufgrund von elektrostatischen Wechselwirkungen an den positiv geladenen Bereichen der Glutenproteine an. Dies sorgt dafür, dass die positive Ladung der Glutenproteine ein Stück weit ausgeglichen wird. Die Glutenproteine stoßen sich in der Folge weniger stark voneinander ab. Den Wassermolekülen fällt es schwerer, in die Zwischenräume der Proteine einzudringen und diese zu hydrieren.
Da Glutenproteine, die sich weniger voneinander abstoßen, in engeren Kontakt treten können, wird das Glutennetzwerk gestärkt, da die Proteine einfacher Disulfid- und Wasserstoffbrücken untereinander ausbilden können.
Das Gegenteil ist übrigens der Fall in Sauerteigbrot! Sauerteigbrot besitzt einen pH Wert zwischen 3,8 bis 4,6. Das ist wesentlich saurer als ein Brot aus Bäckerhefe mit einem pH im Bereich von 5,3 bis 5,8. Im Sauerteig sind die Glutenproteine viel positiver geladen als im ungesäuerten Teig. Folglich stoßen sich die Glutenproteine im Sauerteig stärker voneinander ab. Der gesäuerte Teig lässt sich schneller auskneten, da die Glutenproteine schneller hydrieren. Der Nachteil ist aber, dass das Glutennetzwerk im Sauerteig schwächer ausgebildet wird als im ungesäuerten Teig.
Salz und Zucker binden Wasser
Sowohl Salz als auch Zucker sind in der Lage, Wasser zu absorbieren. Dem Brotteig kann folglich mehr Wasser zugegeben werden, ohne dass dieser furchtbar klebrig und weich wird.
Mit der Fähigkeit von Salz und Zucker Wasser zu binden, sind wir in unserem Alltag sehr vertraut. Marmelade und Bonbons verderben nicht, da der Zucker frei verfügbares Wasser bindet. Das gebundene Wasser steht Verderbsmikroorganismen nicht für deren Stoffwechsel zur Verfügung. In der Fachsprache sagt man: Die Wasseraktivität ist reduziert. Die Wasseraktivität ist ein Maß dafür, wieviel ungebundenes, freies Wasser in einem Lebensmittel zur Verfügung steht.
Was für Zucker gilt, gilt auch für Salz. Speck und Schinken verderben nicht, da das Salz freies Wasser im Fleisch bindet und es für Verderbsmikroorganismen unverfügbar macht.
Erschwerend kommt für Verderbsmikroorganismen noch hinzu, dass in beispielsweise Marmeladenkonserven neben dem Wassermangel auch ein hoher osmotischer Druck auf sie ausgeübt wird. Der Zucker sorgt dafür, dass den Mikroorganismen Wasser entzogen wird und deren Zellen zusammenschrumpfen.
Im Brotteig haben Salz und Zucker keine konservierende Wirkung, da sie zu niedrig dosiert werden. Eine konservierende Wirkung im Brotteig wäre fatal, da wir beim Brotbacken auf Mikroorganismen angewiesen sind, die Aromastoffe produzieren und im Falle von Hefen den Teig aufgehen lassen. Es ist ein netter Nebeneffekt, aber keine absolute Notwendigkeit, dass Salz und Zucker einen Teil des Wassers im Brotteig binden.
Zucker verbessert die Krustenfarbe von Brot
Vielleicht hast du ja schon einmal von der Maillard-Reaktion gehört. Die Maillard-Reaktion ist eine nichtenzymatische Bräunungsreaktion. Sie ist verantwortlich für die goldbraune Farbe der Brotkruste.
In der Maillard-Reaktion reagieren reduzierende Zucker mit Proteinen und Bilden dunkelfarbene Röstaromen. Diese Reaktion wird extrem beschleunigt bei hohen Temperaturen, wie wir sie in einer Fritteuse, Pfanne oder einem Backofen vorfinden. Kaffeeröstung, Pommes frittieren, Steak anbraten: alles Maillard-Reaktion.
Nun wird der geschulte Chemiker aber laut aufschreien: Haushaltszucker ist kein reduzierender Zucker! Saccharose besitzt keine freie Aldehydgruppe in wässriger Lösung, die reduzierend wirkt und mit den Weizenproteinen im Brotteig reagieren kann. In der Tat, es ist nicht der Haushaltszucker direkt, der an der Maillard-Reaktion im Brotteig beteiligt ist.
Es sind die Einzelbausteine des Haushaltszuckers, Glucose und Fructose, die an der Maillard-Reaktion beteiligt sind. Im Brotteig wird Haushaltszucker durch Enzyme wie beispielsweise die Invertase während der Teigfermentation in seine Einzelbausteine aufgespalten. Deshalb befinden sich in gezuckertem Teig mehr reduzierende Zuckermoleküle, die dann beim Backen für eine bessere Krustenfarbe sorgen, da die reduzierenden Zuckermoleküle mit den Weizenproteinen braune Röststoffe ausbilden.
Was ist aber mit ungezuckertem Teig? Warum wird dessen Kruste braun im Ofen? Nun, die reduzierenden Zucker Glucose und Maltose können nicht nur aus Haushaltszucker gewonnen werden, sondern auch durch den enzymatischen Abbau von beschädigter Stärke während der Teigfermentation.
Für eine besonders schöne Krustenfarbe bietet es sich neben Zucker auch an, die folgenden beiden Zutaten dem Teig beizugeben:
Milch und andere lactosehaltige Molkereiprodukte. Lactose, der Milchzucker, ist ein reduzierender Zucker. Der Hefezopf und die Milchbrötchen verdanken ihre goldbraune Kruste dem Milchzucker.
Backmalz (auch enzyminaktiver Aromamalz) enthält große Mengen des Malzzuckers Maltose. Zusätzlich enthält enzymaktives Backmalz Enzyme, wie beispielsweise Amylasen, die beschädigte Stärkemoleküle während der Teigfermentation zu reduzierenden Zucker abbauen.
In der letzten Lektion haben wir gelernt, dass die Hefe im Brotteig einen osmotischen Schock erfährt, von dem sie sich erst erholen muss, bevor der Teig mit maximaler Geschwindigkeit aufgeht. Verantwortlich für diesen osmotischen Schock sind die in der wässrigen Brotmatrix gelösten Salz- und Zuckermoleküle. Dieses abstrakte Konzept möchte ich in diesem Rechenbeispiel einmal mit konkreten Zahlen verdeutlichen.
Ich ermutige dich dazu, die Rechenaufgabe selbstständig zu lösen, bevor du dir meinen Lösungsweg anschaust. Aber auch wenn du die Aufgabe nicht lösen kannst/ willst, dann schaue dir unbedingt den Lösungsweg an. Dieser verdeutlicht nochmal mit harten Zahlen ein in der Hefelektion aufgegriffenes Schlüsselkonzept, das es sich lohnt, verstanden zu haben.
Aufgabe:
Ein einfaches Rezept für einen Weizenbrotteig besteht aus folgenden Zutaten:
500 Gramm Weizenmehl
300 Gramm Wasser
10 Gramm Salz
30 Gramm Zucker
20 Gramm Frischhefe
Wir möchten berechnen, wie hoch der osmotische Druck im Brotteig nach dem Mischen ist.
Lösungsweg:
Wie wir bereits in der Lektion über Hefe gelernt haben, lässt sich der osmotische Druck ganz einfach mithilfe des van-’t-Hoff’schen Gesetzes berechnen:
π = Osmotischer Druck
c = Stoffmengenkonzentration der Lösung
i = Van-‘t-Hoff-Faktor: Anzahl der dissoziierenden Teilchen in der Lösung
R = Universelle Gaskonstante
T = Temperatur
Zunächst müssen wir die Stoffmengenkonzentrationen von Salz und Zucker im Teig berechnen. Addieren wir das Gewicht aller Teigzutaten zusammen, so kommen wir auf ein Gesamtteiggewicht von 860 Gramm. Angenommen, der Brotteig besitzt eine Dichte von 1,1 Kilogramm pro Liter nach dem Mischen, so haben wir ein Gesamtteigvolumen von:
Die molare Masse von Kochsalz (Natriumchlorid) beträgt 58,44 Gramm pro Mol. Folglich haben wir im Teig eine Stoffmengenkonzentration von:
Die molare Masse von Haushaltszucker (Saccharose) beträgt 342,30 Gramm pro Mol. Folglich haben wir im Teig eine Stoffmengenkonzentration von:
Mithilfe der Stoffmengenkonzentration können wir nun den osmotischen Druck berechnen. Der van-‘t-Hoff-Faktor von Kochsalz beträgt 2, da Natriumchlorid in wässriger Lösung in zwei Teilchen dissoziiert: Natrium- und Chloridionen. Der van-‘t-Hoff-Faktor von Haushaltszucker beträgt 1, da er in wässriger Lösung nicht dissoziiert. Bei einer Teigtemperatur von 28 °C (301,15 Kelvin) nach dem Mischen erhalten wir für den osmotischen Druck folgende Werte:
Der osmotische Druck im Teig nach dem Mischen beträgt somit 1380 kPa. Dies sind umgerechnet 13,8 bar. Ein enormer Druck, den die Hefezellen ausgleichen müssen. Obwohl der Teig das dreifache Gewicht an Zucker wie an Salz enthält, verursacht das Salz einen etwa vierfach höheren osmotischen Druck als der Zucker.
Warum verursachen in diesem Beispiel 10 Gramm Salz einen vierfach höheren osmotischen Druck als 30 Gramm Zucker? Dies liegt darin begründet, dass für den osmotischen Druck ausschließlich die Teilchenzahl ausschlaggebend ist. Das Kochsalzmolekül (58,44 Gramm pro Mol) wiegt weniger als das Haushaltszuckermolekül (342,30 Gramm pro Mol). In 10 Gramm Kochsalz befinden sich somit mehr Moleküle als in 10 Gramm Haushaltszucker. Zudem dissoziiert das Kochsalzmolekül, wenn es in Lösung geht, in zwei Teile und verdoppelt so seine Teilchenzahl. Der Haushaltszucker hingegen dissoziiert nicht in Wasser. Die Teilchenzahl von in Wasser gelöstem Zucker ist identisch mit der Teilchenzahl von ungelösten Zuckerkristallen.
Um ein gutes Brot zu backen, braucht es nicht viele Zutaten. Aus den vier Grundzutaten Mehl, Wasser, Salz und Hefe lassen sich phänomenale Baguettes und auch rustikale Landbrote backen. Auf die Hauptzutat Mehl bin ich bereits in den vorigen Lektionen detailliert eingegangen. Die heutige Lektion widmet sich den technologischen Funktionen der Hefe.
Die Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae)ist ein lebender einzelliger Organismus, genauer gesagt: ein Pilz. Die Industriebäckerhefe, wie wir sie heute kennen, wurde in den 1920ern geboren. Sie stammt von wilden Hefen ab, die wir domestiziert haben. Die ehemals wilden Hefen wurden gezielt gezüchtet, damit sie mehr Gas produzieren und eine höhere Stresstoleranz aufweisen. Industriebäckerhefe ist ein Haustier des Menschen, das nur aus einem Grund existiert: zum Backen.
Brot wurde aber auch schon lange vor der Entwicklung von Industriehefen gebacken, denn Hefen lassen sich ganz einfach von jedermann zuhause selber züchten. Sauerteig ist nichts anderes als eine Hefe- und Bakterienzuchtstation. Der Sauerteig ist befallen von wilden Mikroorganismen, die in ihm ihr Unwesen treiben. Die wilden Hefen im Sauerteig verdauen Zuckerstoffe im Teig und wandeln diese in Kohlendioxid um. Das Teigvolumen vergrößert sich.
Die Hefe ist ein biologisches Lockerungsmittel. Das von ihr produzierte Kohlendioxid liegt zunächst gelöst in der wässrigen Teigmatrix vor und wandert dann zu den während des Misch- und Knetvorgangs eingebrachten Gasblasen im Teig. Dort kommt es zum Phasenübergang: Das Kohlendioxid wird gasförmig und lagert sich an den Gasblasen im Teig an. Die Gasblasen wachsen immer weiter an. Der Teig geht auf.
Die Menge an Gas, die ein Brotteig stabilisieren kann, ist begrenzt. Auf die Expansionsphase des Teiges folgt eine stationäre Phase, in der der Teig nur noch sehr langsam weiter aufgeht. Die stationäre Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass in etwa die gleiche Menge an Kohlendioxid den Teig wieder verlässt wie von der Hefe produziert wird. Je mehr Gas sich im Teig befindet, desto labiler wird er. Irgendwann wird dann ein kritischer Punkt erreicht, an dem das Teiggerüst so instabil ist, dass es in sich zusammenfällt.
Die drei Phasen der Teigfermentation
Die Stockgare, das ist, wenn der Teig nach dem Kneten zum ersten Mal aufgeht, lässt sich in drei Phasen unterteilen:
Die Lag-Phase, in der das Teigvolumen nicht oder nur minimal zunimmt.
Die Expansionsphase, in der das Teigvolumen stark zunimmt.
Die stationäre Phase, in der das Teigvolumen nur noch langsam zunimmt.
In der untenstehenden Abbildung siehst du einen Graphen, indem der Expansionskoeffizient des Teiges über die Zeit aufgetragen ist. Der Volumen-Expansionskoeffizient eines Teiges zum Zeitpunkt t berechnet sich folgendermaßen:
Ein Teig, der innerhalb von 2 Stunden sein Volumen von einem auf drei Liter vergrößert hat, hat folglich einen Expansionskoeffizienten von:
Der Teig in der untenstehenden Abbildung hat somit bei einem Expansionskoeffizienten von 3 im Laufe der Stockgare sein Volumen vervierfacht.
Volumenexpansionskoeffizient von Brotteig in Abhängigkeit der Fermentationszeit. Bildquelle: Food and Bioprocess Technology
Die Lag-Phase bei der Teigfermentation
Wir haben gelernt, dass das Teigvolumen solange mit maximaler Geschwindigkeit zunimmt, wie der Teig einen Großteil des von der Hefe produzierten Kohlendioxids in der Teigmatrix einschließen kann. In der stationären Phase flacht das Teigwachstum ab, da der Teig kein weiteres Kohlendioxid mehr aufnehmen kann. Warum aber beobachten wir eine Lag-Phase zu Beginn der Fermentation, in der der Teig auch nur minimal an Volumen zunimmt?
Der Grund hierfür: Osmotischer Stress, der auf die Hefezellen wirkt. Osmotischer Druck wird von in Wasser gelösten Substanzen verursacht. In der Brotteigmatrix sind dies Salz und Zucker. Die Weizenstärke und Glutenproteine sind hingegen wasserunlöslich. Sie liegen dispergiert in der wässrigen Teigmatrix vor.
Osmotischer Druck bewirkt, dass Wasser bei einem Konzentrationsgefälle sich durch eine semipermeable Membran vom Ort der niedrigeren zum Ort der höheren Teilchenkonzentration bewegt, um das Konzentrationsgefälle auszugleichen. Die Zellmembran von Hefezellen ist eine semipermeable Membran, die nur selektiv durchlässig ist.
Prinzip der Osmose: Der Salzüberschuss im linken Teil bewirkt, dass Wasser durch die Membran nach links fließt, um den Konzentrationsunterschied auszugleichen. Bildquelle: Hans Hillewaert
Im Brotteig ist das Zellinnere der Hefe ein von der restlichen Teigmatrix abgetrennter Bereich. Wir können somit einen osmotischen Druck für das Zellinnere der Hefe und einen osmotischen Druck für die wässrige Teigmatrix, die die Hefe umgibt, berechnen. Die Berechnung des osmotischen Drucks erfolgt mithilfe des van-’t-Hoff’schen Gesetzes:
π = Osmotischer Druck
c = Stoffmengenkonzentration der Lösung
i = Van-‘t-Hoff-Faktor: Anzahl der dissoziierenden Teilchen in der Lösung
R = Universelle Gaskonstante
T = Temperatur
Der osmotische Druck einer Lösung steigt an, wenn:
Die Konzentration (Teilchenanzahl) an osmotisch aktiven Substanzen erhöht wird.
Die Temperatur erhöht wird.
Die gelösten Substanzen in mehrere Teilchen dissoziieren. Zuckermoleküle dissoziieren nicht, wenn sie in Wasser aufgelöst werden. Zucker besitzt folglich den van-‘t-Hoff-Faktor 1. Kochsalz (Natriumchlorid) hingegen dissoziiert, wenn es in Wasser gelöst wird, in zwei Teilchen: Natrium- und Chloridionen. Folglich besitzt Kochsalz den van-‘t-Hoff-Faktor 2 und hat somit bei gleicher Stoffmengenkonzentration einen doppelt so hohen Einfluss auf den osmotischen Druck wie Zucker.
Der osmotische Druck muss separat für das Zellinnere der Hefezellen und die wässrige Teigmatrix berechnet werden, da sie durch eine semipermeable Zellmembran voneinander getrennt sind. Ist der osmotische Druck auf beiden Seiten der Membran ausgeglichen, so passiert nichts. Ist der osmotische Druck hingegen nicht ausgeglichen, so wandert Wasser vom Ort mit dem niedrigeren osmotischen Druck zum Ort mit dem höheren osmotischen Druck, um den osmotischen Druck auf beiden Seiten der Membran auszugleichen.
Im Brotteig weißt die die Hefezellen umgebende Teigmatrix den höheren osmotischen Druck auf, da wir dem Brotteig Salz und eventuell sogar Zucker zugeben. Die Hefezellen erfahren daher beim Mischen des Brotteigs einen osmotischen Schock. Den Hefezellen wird Wasser entzogen, um die umliegende Salz und/ oder Zuckerlösung zu verdünnen. Die Hefezellen schrumpfen und stellen ihren Stoffwechsel um. Um zu überleben, gleichen die Hefezellen den osmotischen Druck aus, indem sie selbst osmotisch aktive Substanzen in ihrem Zellinneren produzieren und anlagern. Diese osmotisch aktiven Substanzen sind Trehalose und Glycerin, auf die ich in einer Folgelektion über das Salz-Hefe-Verfahren noch im Detail eingehen werde.
Während die Hefe im Brotteig noch damit beschäftigt ist, Trehalose und Glycerin anzureichern, hat sie keine Kapazitäten mehr dafür, Kohlendioxid im Großmaßstab zu produzieren. Erst wenn der osmotische Schock überwunden wurde, fährt die Hefe die Produktion von Trehalose und Glycerin zurück und beginnt wieder damit, sich ihrer eigentlichen Hauptaufgabe im Brotteig zu widmen: der Produktion von Kohlendioxid. Die Stressreaktion der Hefe auf den ihr zugeführten osmotischen Schock beim Mischen des Brotteigs ist das, was wir als Lag-Phase bezeichnen. Während der Lag-Phase nimmt das Teigvolumen nur minimal zu, da die Hefe erstmal mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt ist.
Wie produziert die Hefe Kohlenstoffdioxid?
Ist erst einmal der osmotische Schock überwunden, so geht es für die Hefe ans große Fressen. Lediglich Einfachzucker können die Zellwand der Hefe per Diffusion passieren. Den Haushaltszucker Saccharose kann die Hefe nicht direkt aufnehmen, da er ein Zweifachzucker, bestehend aus einem Molekül Glucose und einem Molekül Fructose ist. Die Hefe produziert daher ein Enzym, die Invertase, das sie dann an die Umgebung abgibt, um den Haushaltszucker aufzuspalten.
Langkettige Stärkemoleküle kann die Hefe ebenfalls nicht direkt verwerten. Beim Mahlvorgang beschädigte Stärkekörner müssen erst im Laufe der Teigfermentation von mehleigenen Enzymen in kurzkettige Zuckermoleküle aufgespalten werden, bevor die Hefe sie in ihr Zellinneres aufnehmen kann. Neben dem Einfachzucker Glucose, den die Hefe per Diffusion aufnehmen kann, entsteht beim enzymatischen Abbau von Stärke auch Malzzucker, die Maltose. Maltose ist ein Zweifachzucker, bestehend aus zwei Glucosemolekülen. Die Hefe besitzt extra für den Maltosetransport ins Zellinnere ein eigenes Transportsystem. In der Zelle wird die Maltose wiederum enzymatisch in Glucose aufgespalten und von der Hefe dann zur Energiegewinnung genutzt.
Die Bäckerhefe ist ein fakultativ anaerober Mikroorganismus. Das heißt, die Hefe kann Energie sowohl aus der Zellatmung in Anwesenheit von Sauerstoff als auch aus der alkoholischen Gärung in Abwesenheit von Sauerstoff gewinnen. Die Endprodukte der Zellatmung sind Kohlendioxid und Wasser, wohingegen die Endprodukte der Gärung Alkohol und Kohlendioxid sind.
Im Brotteig herrschen überwiegend anaerobe Bedingungen. Für die Hefe steht kein oder nur sehr wenig Sauerstoff zur Verfügung. Die alkoholische Gärung ist im Brotteig dominant. Dies gilt übrigens auch für die Bierherstellung, weshalb Bier auch als flüssiges Brot bezeichnet wird. Ein Großteil des Alkohols im Brotteig verdampft, wenn das Brot im Ofen gebacken wird. Im fertigen Brot verbleibt nur ein kleiner Restalkoholgehalt von unter 0,5 Volumenprozent.
Die Kohlendioxidproduktionsrate von Hefe ist maximal bei 32 °C. Der Teig geht besonders schnell auf. Bei Kühlschranktemperaturen hingegen fährt die Hefe ihren Stoffwechsel stark zurück und der Teig geht deutlich langsamer auf. Bei Temperaturen über 45 °C beginnen die Hefezellen abzusterben.
Neben Kohlendioxid produziert die Hefe im Laufe der Teigfermentation auch Aromastoffe. Diese Aromastoffe sind Nebenprodukte des Hefestoffwechsels, die dem Brot einen guten Geschmack geben. Für ein besonders aromatisches Brot empfiehlt es sich, den Brotteig bei Temperaturen unter 30 °C gehen zu lassen, damit er nicht so schnell aufgeht und genügend Zeit hat, möglichst viele Aromastoffe auszubilden. Neben der Hefe befinden sich auch noch andere Mikroorganismen, wie beispielsweise Milch- und Essigsäurebakterien im Teig, die ebenfalls Aromastoffe und Säuren produzieren, die dem Brot einen guten Geschmack geben.
Welche Arten der Hefe gibt es zu kaufen?
Bäckerhefe wird im Handel angeboten als:
Frischhefe mit einer Haltbarkeit von etwa 2 bis 3 Wochen.
Trockenhefe mit einer Haltbarkeit von bis zu einem Jahr.
Flüssighefe mit einer Haltbarkeit von bis zu einem Jahr.
Flüssighefe wird vor allem in der Lebensmittelindustrie verwendet, da sie leicht dosierbar ist und sich durch Rohre pumpen lässt. Üblich für den Heimgebrauch sind Frisch- und Trockenhefe. Ein handelsüblicher Frischhefewürfel wiegt 42,5 Gramm und entspricht etwa einem 7 Gramm Päckchen Trockenhefe.
Ob du mit Trocken- oder Frischhefe arbeitest, macht keinen Unterschied. Ich bevorzuge Frischhefe, da sie sich präzise mit einer Haushaltswaage abwiegen lässt. Wer Trockenhefe zuhause genau abwiegen möchte, der benötigt eine Feinwaage.
Stärke ist ein Energiespeicherstoff pflanzlicher Zellen. Speicherstoffe sind Substanzen, die von einem Lebewesen langfristig gespeichert werden, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Stoffwechsel eingespeist zu werden. Einen weiteren wichtigen Speicherstoff der Weizenpflanze haben ich bereits in der vorigen Lektion ausführlich diskutiert: die Glutenproteine.
Die Stärke ist ein Kohlenhydrat, das aus einer langen Kette von Glucosemolekülen zusammengesetzt ist. Glucose ist ein Einfachzucker und die Hauptenergiequelle aller lebenden Organismen. Um Stärke als Energiequelle zu nutzen, wird sie in lebenden Organismen in einzelne Glucosemoleküle aufgespalten, die dann zur Energiegewinnung verstoffwechselt werden.
Stärkemoleküle bestehen aus zwei Untereinheiten:
Amylose: Das sind Glucoseketten, die linear miteinander vernetzt sind.
Amylopektin: Das sind Glucoseketten, die in stark verzweigten Strukturen miteinander vernetzt sind.
Weizen- und Roggenstärke setzen sich grob zusammen aus 25 % Amylose und 75 % Amylopektin. Die meisten Stärkearten, wie beispielsweise Maisstärke, Kartoffelstärke und Reisstärke, weisen ein ähnliches Verhältnis von 20 bis 30 % Amylose zu 70 bis 80 % Amylopektin auf. Ausnahmen sind besonders amylopektinreiche Stärken, die im Englischen Waxy Starches genannt werden. Bekannte amylopektinreiche Stärken sind beispielsweise Tapiokastärke (etwa 85 % Amylopektin), Süßkartoffelstärke (etwa 80 bis 85 % Amylopektin) und Klebereisstärke (mehr als 99 % Amylopektin). Es existieren auch gezüchtete und gentechnisch manipulierte Mais- und Kartoffelsorten, deren Stärke komplett amylosefrei ist.
Der Weizen der Zukunft
WaxyStarches, die ausschließlich aus Amylopektin bestehen, sind in der Lebensmittelindustrie beliebt, da sie ein weicheres Gel als herkömmliche Weizen- oder Kartoffelstärke ausbilden. Brote, die mit Waxy Weizen gebacken werden, haben eine wesentlich weichere Krume als Brote, die mit herkömmlichem Weizen gebacken werden. Zudem bleiben Brote aus Waxy Weizen länger frisch, da Gele aus Amylopektin während der Lagerung von Brot deutlich beständiger sind Gele aus Amylose.
Der Grund, warum Brot altbacken wird, ist, dass die Stärke, die im Ofen ein Gel ausgebildet hat, mit der Zeit wieder auskristallisiert. Dieser Vorgang wird Retrogradation genannt. Die Stärkekristalle machen die Brotkrume fester und sorgen dafür, dass Wasser aus dem Stärkegel austritt. Das Brot wird trocken und hart. Dem Feuchtigkeitsverlust der Brotkrume lässt sich vorbeugen, indem man das Brot in einer Plastiktüte aufbewahrt. Die Umgebungsluft in der Plastiktüte ist mit Wasserdampf gesättigt und kann daher das von der kristallinen Stärke freigesetzte Wasser nicht aufnehmen. Nachteil dieser Aufbewahrungsmethode: Die feuchte Brotkrume ist der ideale Nährboden für Schimmelbefall, sodass das Brot rasch verzehrt werden sollte. Wer Brot lange ohne Qualitätsverlust frischhalten möchte, der friert es am besten ein.
Das Rekristallisationsverhalten von Amylose und Amylopektin unterscheidet sich. Amyloseketten kristallisieren, unmittelbar nachdem das Brot aus dem Ofen genommen wurde, rasch wieder aus. Das amorphe Amylopektinnetzwerk ist wesentlich beständiger und kristallisiert über einen mehrwöchigen Zeitraum nach und nach aus. Dies ist der Grund, warum Brote aus amylosefreiem Waxy Weizen länger weich und saftig bleiben.
Übrigens: Die Retrogradation der Stärke lässt sich teils wieder rückgängig machen, indem man altbackenes Brot erwärmt. Ideal hierfür ist eine Mikrowelle, da dem Brot so keine Flüssigkeit entzogen wird. Wird altbackenes Brot für einen kurzen Zeitraum sanft in der Mikrowelle erwärmt, so wird es zumindest temporär wieder weicher, da vor allem kurzkettige kristalline Regionen des Amylopektinnetzwerks erneut in den amorphen Zustand übergehen.
Warum essen wir trotz der verbesserten Frischhaltung kein Brot aus Waxy Weizen in Deutschland? Der Hauptgrund ist, dass Waxy Weizen sich noch in der Entwicklung befindet. Er wird noch nicht großflächig in Europa angebaut und die Entwicklung wirtschaftlicher Sorten ist innerhalb der Europäischen Union erheblich erschwert, da in Europe eine irrationale Abneigung gegenüber der gentechnischen Manipulation von Nutzpflanzen herrscht. Führend in der Entwicklung von Waxy Weizensorten sind Japan und die USA.
Ostasiatische Klebereiskuchen
In der Regel wird der kommerziell angebaute Waxy Weizen mit herkömmlichem Weizenmehl vermischt, um die Frischhaltung zu verbessern. Ein Brotteig aus reinem Waxy Weizen ist viel klebriger als ein Teig aus herkömmlichem Weizenmehl, was ihn nicht besonders maschinenfreundlich macht. Jeder, der schonmal mit Klebereismehl hantiert hat, weiß, wieviel klebriger Waxy Starch im Vergleich zu herkömmlicher Speisestärke ist. Ein bekanntes Beispiel für ein Produkt aus Waxy Starch sind japanische Klebereiskuchen, Mochi, die eine zähklebrige Konsistenz aufweisen.
Die Stärke und der Kleister
Ihren Hauptauftritt hat die Stärke, wenn das Brot im Ofen gebacken wird. Bei Temperaturen über 45 °C beginnen die Stärkemoleküle damit stark anzuschwellen, platzen dann bei Temperaturen zwischen 55 und 85 °C und bilden ein Gel aus: den Stärkekleister. Wird die Verkleisterungstemperatur der Stärke überschritten, so nimmt die Viskosität im Brotteig rapide zu. Der Brotschaum ist nun gefestigt. Ist die Stärke erst einmal verkleistert, so geht das Brot im Ofen nicht weiter auf. Es behält seine aktuelle Form bei und wird nun noch solange ausgebacken, bis die Krustenfarbe schön Goldbraun ist.
Die Verkleisterungstemperatur der Stärke lässt sich sehr einfach bestimmen. Dies ist der Punkt, an dem die Viskosität einer stärkehaltigen Dispersion wie beispielsweise Brotteig rapide ansteigt, da die Stärkekörner aufplatzen. Roggenstärke verkleistert bei Temperaturen zwischen 55 bis 70 °C, wohingegen Weizenstärke erst bei Temperaturen zwischen 65 bis 80 °C verkleistert. Konkret heißt das: Weizenteige zeigen mehr Ofentrieb als Roggenteige. Es dauert länger, bis sich die Struktur von Weizenteigen im Ofen gefestigt hat.
Die niedrigere Verkleisterungstemperatur von Roggenstärke bringt einen weiteren ganz besonderen Nachteil mit sich: Roggenbrote sind besonders anfällig für einen enzymbedingten Brotfehler: die klitschige Krume. Ein Brot mit klitschiger Krume klebt an den Zähnen beim Kauen fest und fühlt sich unangenehm feucht im Mund an. Der Grund hierfür ist, dass zu viel Stärke enzymatisch abgebaut wurde. Hauptverantwortlich hierfür sind die Amylasen, die beschädigte Stärkekörner angreifen.
Ein Teil der Stärke (etwa 5 bis 12 %) wird bei der Vermahlung von Getreidekörnern zu Mehl mechanisch beschädigt. Diese beschädigte Stärke wird während der Teigfermentation von den mehleigenen und eventuell extra zugegebenen Amylasen in Zuckermoleküle abgebaut. Diese Zuckermoleküle dienen als Futter für die Hefe und geben dem Brot eine schöne goldbraune Kruste beim Backen.
Was passiert nun, wenn die Stärke im Ofen verkleistert? Die Stärkekörner platzen! Ein Traum für die Amylasen, da jetzt die komplette Stärke im Teig beschädigt ist und schutzlos den Amylasen ausgeliefert wird. Aber es kommt noch schlimmer: Die Enzymaktivität ist stark temperaturabhängig. Mehleigene Amylasen besitzen ein Aktivitätsmaximum im Bereich von 50 bis 70 °C und werden erst bei etwa 80 °C inaktiviert. Die Amylasen im Roggenteig haben daher deutlich länger Zeit, die geplatzten Stärkekörner anzugreifen, als es bei Weizenteigen der Fall ist, wo die Stärkekörner erst bei 10 bis 20 °C höheren Temperaturen aufplatzen. Der enzymatische Abbau der verkleisterten Stärke setzt Wasser frei: Die Brotkrume wird klitschig und klebrig.
Ursachen für eine übermäßige Enzymaktivität im Teig
Mehle, die wir von einer Mühle oder im Supermarkt kaufen, werden auf deren Amylaseaktivität hin getestet. Mehle, die eine zu hohe oder niedrige Enzymaktivität aufweisen, kommen gar nicht erst in den Handel. Schuld für eine klitschige Krume ist oftmals nicht das Mehl an sich, sondern eine Überdosierung von enzymaktivem Backmalz.
Traditionell hergestelltes Backmalz ist ein Naturprodukt, das gersten-, weizen- oder roggeneigene Amylasen enthält. Die Amylasen können durch Hitzebehandlung des Malzes inaktiviert werden. Man spricht dann von inaktivem Malz oder Aromamalz. Allerdings ist dies in der Regel nicht gewollt, da die Amlyasen auch teigverbessernde Eigenschaften mit sich bringen, auf die ich einer zukünftigen Lektion im Detail eingehen werde. Viele Hobbybäcker backen mit aktivem Malz, um die Enzymaktivität im Teig zu erhöhen und so ein besseres Backergebnis zu erzielen.
In der industriellen Herstellung von Brot ist traditionell hergestelltes enzymaktives Malz hingegen nicht existent. Die Backindustrie schwört auf inaktive Malze, denen die passenden Enzyme dann nach Bedarf zugegeben werden. Warum inaktiviert man die getreideeigenen Enzyme nur, um dann später wieder neue Enzyme zuzugeben? Erster Grund: Produktionssicherheit und ein immer gleichbleibendes Produkt. Zweiter Grund: Nicht alle Amylasen sind gleich. Werfe einen Blick in die untenstehende Tabelle. Welche der dort gelisteten Amylasen eignet sich wohl am besten zum Brotbacken?
Enzym
Aktivitätsmaximum in °C
Inaktivierungstemperatur in °C
Weizen Alpha-Amylase
50 bis 70
80
Bakterielle Alpha-Amylase
60 bis 80
90 bis 100
Pilz Alpha-Amylase
55 bis 60
65
Richtig, es ist die aus Pilzen gewonnene Alpha-Amylase. Diese hat ihr Aktivitätsmaximum bei der niedrigsten Temperatur und wird auch am schnellsten im Ofen inaktiviert. Das heißt konkret: Wir müssen uns deutlich weniger sorgen machen, dass die verkleisterte Stärke durch eine übermäßige Amylaseaktivität geschädigt wird. Industrielle Backmittel sind eine Art optimierter Backmalz. Genau aus diesem Grund backe ich zuhause so gut wie gar nicht mehr mit traditionell hergestelltem enzymaktiven Malz. Ein Backmittel kann alles, was traditionelles Malz auch kann, nur besser!
Die Inhaltsstoffe von Backmitteln und deren technologische Wirkung sind dann aber ein Thema für ein andermal. In dieser Lektion ist es nur wichtig, verstanden zu haben, dass die Stärkekörner im Ofen aufplatzen und verkleistern. Die Rekristallisierung der Stärke nach dem Backen, die Retrogradation, bewirkt, dass das Brot hart wird und Wasser aus dem Stärkegel austritt. Das freigesetzte Wasser wird von der Umgebungsluft aufgenommen. Das Brot trocknet aus.
Weizenproteine lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen:
Nicht-Glutenproteine, die etwa 15 bis 20 % des Gesamtproteingehalts in Weizenkörnern ausmachen.
Glutenproteine, die etwa 80 bis 85 % des Gesamtproteingehalts in Weizenkörnern ausmachen.
Die Nicht-Glutenproteine im Weizen sind Funktionsproteine. Funktionsproteine sind beispielsweise Enzyme und Transportproteine. Diese Proteine spielen eine wichtige Rolle in der Regulation des Stoffwechsels eines jeden Organismus. Von besonderer Bedeutung für das Brotbacken sind die mehleigenen Enzyme, auf die ich in einer späteren Lektion noch genauer eingehen werde.
Der Fokus in dieser Lektion liegt auf den Glutenproteinen. Die Glutenproteine sind Speicherproteine. Speicherproteine dienen als Nahrungsreserve für das keimende Getreide. Glutenproteine können in zwei Kategorien unterteilt werden:
Gliadine
Glutenine
Die Glutenine sind in der Lage, sich im Brotteig zu einem dreidimensionalen Netzwerk zu vernetzen. Die Gliadine wiederum sind Monomere. Sie können sich nicht untereinander vernetzen. Dennoch spielen auch die Gliadine eine entscheidende Rolle im Glutennetzwerk, denn sie können an das Gluteninnetzwerk binden und so das Netzwerk unterbrechen. Gliadine schwächen das Netzwerk an Gluteninen.
Brotteig – ein viskoelastisches Material
Glutenine und Gliadine sind Gegenspieler im Brotteig. Die Glutenine sind verantwortlich für die Elastizität des Teiges, wohingegen die Gliadine für die Plastizität des Teiges verantwortlich sind. Um dieses Konzept zu durchdringen, ist es wichtig, dass wir uns vor Augen führen, in welchem Aggregatzustand Brotteig eigentlich vorliegt. Im Chemieunterricht hat jeder von uns wahrscheinlich als Erstes gelernt, dass sich die Materie in drei Aggregatzustände unterteilen lässt: fest, flüssig und gasförmig. Diese Einteilung hilft uns aber nicht weiter, wenn wir den Aggregatzustand von Brotteig beschreiben wollen. Brotteig ist weder ein idealer Feststoff, noch ist er eine ideale Flüssigkeit. Brotteig ist eine Mischung aus Feststoff und Flüssigkeit.
Im Fachjargon wird der Brotteig als weiche Materie, auf Englisch: soft matter, klassifiziert. Weiche Materie zeichnet sich durch ein viskoelastisches Verhalten aus. Viskoelastische Stoffe weisen sowohl Merkmale von Festkörpern als auch von Flüssigkeiten auf. Sie setzen sich zusammen aus einem elastischem und einem viskosen Anteil.
Elastisches Verhalten ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Materie, wenn sie unterhalb ihrer Elastizitätsgrenze verformt wird, wieder in ihren Ausgangszustand zurückkehrt. Viskoses Verhalten ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Materie sich unter der Einwirkung einer Spannung irreversibel und unbegrenzt verformt. Die Materie kehrt nicht in ihren Ausgangszustand zurück, wenn die einwirkende Spannung eingestellt wird.
Elementar für das Verständnis der Funktion von Gluteninen und Gliadinen im Brotteig ist es, die Definitionen von Elastizität und Plastizität verinnerlicht zu haben, da Brotteig sowohl elastisches als auch plastisches Verhalten zeigt.
Elastizität: die Eigenschaft eines festen Körpers, seine Form vorübergehend unter Einwirkung einer Spannung zu ändern und nach deren Wegfall wieder seine ursprüngliche Form anzunehmen. Die bekanntesten Beispiele hierfür sind eine Metallfeder oder ein Gummiband, das, nachdem es in die Länge gezogen wurde, wieder vollständig in seinen Ausgangszustand zurückkehrt. Die Glutenine sind verantwortlich für den elastischen Anteil im Brotteig.
Plastizität: die Fähigkeit eines festen Körpers, sich nach dem Überschreiten seiner Elastizitätsgrenze irreversible zu verformen und diese Form dauerhaft beizubehalten. Oberhalb der Elastizitätsgrenze bricht der Körper nicht sofort auseinander, sondern beginnt zu fließen. Wird beispielsweise ein Gummiband überspannt, so reißt es nicht direkt ab, sondern leiert aus und verbleibt in diesem Zustand. Ein bekanntes plastisches Material ist Kaugummi. Kaugummi lässt sich extrem weit auseinanderziehen, ohne das er auseinanderreißt oder sich wieder zu seiner Ursprungsform zusammenzieht. Die Deformation des Kaugummis bleibt dauerhaft bestehen. Stoffe, die ein festes Material plastischer machen, werden Weichmacher genannt. Gliadine sind ein Weichmacher des Glutennetzwerks.
Unterschiede in der Glutenqualität verschiedener Weizenarten
Entscheidend für die Backeigenschaften von Weizenmehl ist das Verhältnis von Gliadinen zu Gluteninen im Teig. In diesem Punkt unterscheiden sich die verschiedenen Weizenarten ganz erheblich voneinander. Je kleiner das Verhältnis von Gliadinen zu Gluteninen, desto besser die Glutenqualität.
Weizenart
Verhältnis von Gliadinen zu Gluteninen
Weichweizen (Triticum aestivum)
0,75-2,5 zu 1
Dinkel (Triticum aestivum subsp. spelta)
3 zu 1
Hartweizen (Triticum durum)
4 zu 1
Emmer (Triticum dicoccum)
4,5 zu 1
Einkorn (Triticum monococcum)
6 zu 1
Betrachtet man die obere Tabelle, so wird schnell klar, warum Weichweizen (der klassische Brotweizen) und Dinkel die bevorzugten Weizenarten zum Brotbacken sind. Der Überschuss an Gliadinen ist sowohl im Weizen- als auch im Dinkelteig deutlich geringer als im Emmer- oder Einkornteig. In besonders backstarken Weizenmehlen ist das Verhältnis von Gliadinen zu Gluteninen nahezu ausgeglichen.
Jeder, der schonmal mit Dinkelmehl gearbeitet hat, weiß, dass Dinkelteig sich leichter auseinanderziehen und dünn ausrollen lässt als Weizenteig. Dinkelteig ist plastischer als Weizenteig dank des höheren Anteils an Gliadinen, die als Weichmacher fungieren. Weichweizenteig hingegen ist ausgesprochen elastisch. Einen Weichweizenteig dünn auszurollen erfordert einiges an Muskelkraft und Geduld, da der Teig immer wieder zurück federt. Dafür haben Weichweizenteige den Vorteil, dass sie äußerst formstabil sind. Brotlaibe aus Weizenmehl sind sehr beständig und können problemlos ohne Form gebacken werden. Emmer- und Einkornbrote hingegen werden oftmals in Brotformen gebacken, da die Teige dazu tendieren, in die Breite zu laufen und so aus dem runden Bauernlaib schnell mal ein Fladenbrot wird.
Ideal für Strudelteig sind Emmer- und Einkornteige trotz ihrer Plastizität aber nicht. Bei einem hohen Gliadinüberschuss ist das Glutennetzwerk stark geschwächt, da die Gliadine es den Gluteninen sehr schwer machen, sich untereinander zu vernetzen. Das Resultat ist ein Teig, der sehr schnell reißt, wenn er auseinandergezogen wird. Für den idealen Strudelteig, der sich ohne zu reißen hauchdünn ausziehen lässt, kommt daher ein anderer Weichmacher zum Einsatz: Öl. Da Weichweizenmehl besonders reich an Gluteninen ist, reißt der Strudelteig beim Auseinanderziehen nicht.
Unterschiede in der Gluteninqualität
Die Glutenine sind eine heterogene Mischung aus Proteinen. Grob lassen sie sich unterteilen in:
Das Gluteninnetzwerk in Weizenteigen ist eine Mischung aus hoch- und niedermolekularen Gluteninen, die miteinander verknüpft sind. Je besser das Gluteninnetzwerk untereinander vernetzt ist, desto besser die Glutenqualität. Je weniger freie Glutenine sich im Brotteig befinden, die nicht mit dem Gluteninnetzwerk verknüpft sind, desto besser die Backeigenschaften eines Teiges.
Weizenmehl von ausgezeichneter Qualität weist einen hohen Anteil hochmolekularer Glutenine und einen geringen Anteil niedermolekularer Glutenine auf. Weniger hochmolekulare Glutenine vernetzen sich besser und einfacher untereinander als viele niedermolekulare Glutenine. Eine kleine Analogie zum besseren Verständnis: Eine Tasse, die in zwei Teile auseinandergebrochen ist, lässt sich einfacher zusammenkleben als eine Tasse, die in Hunderte Splitter zerfallen ist. Die zersplitterte Tasse lässt sich womöglich überhaupt nicht komplett rekonstruieren. So oder so ähnlich kann man sich das auch mit den hoch- und niedermolekularen Gluteninen vorstellen, die während des Knetvorgangs aus Einzelteilen zu einem kontinuierlichen Netzwerk zusammengefügt werden. Bei vielen winzigen Einzelteilen schaffen es weniger Teile, sich dem Glutennetzwerk anzuschließen als bei wenigen großen Teilen, die leichter zusammenzusetzen sind.
Wie sind die Glutenproteine miteinander verknüpft?
Der Grundbaustein der Proteine sind Aminosäuren. Die Aminosäuren sind zu einer langen Kette verknüpft, die zu einer komplexen dreidimensionalen Struktur gefaltet ist. Eine der 20 proteinogenen Aminosäuren ist das schwefelhaltige Cystein. Cystein besitzt eine freie Sulfhydrylgruppe, an der es sich mit anderen Cysteineinheiten über eine Disulfidbrücke verknüpfen kann. Disulfidbrücken sind kovalente Bindungen. Kovalente Bindungen sind die stärksten chemischen Bindungen und nur unter erheblichem Energieaufwand wieder brechbar.
Schematische Darstellung von Proteinketten, die über Disulfidbrücken miteinander verknüpft sind.
Wenn wir Brotteig kneten, so verknüpfen wir die Cysteineinheiten der Glutenproteine untereinander. Mit zunehmender Knetzeit bilden sich immer mehr Disulfidbrücken zwischen den Glutenproteinen aus. Der Teig wird fester. Beim Kneten formen wir nicht nur neue Bindungen, sondern brechen gleichzeitig auch bestehende Bindungen wieder auf, die sich dann an anderer Stelle neu ausbilden. Irgendwann erreichen wir den Punkt, an dem die Glutenproteine optimal miteinander vernetzt sind und keine neuen Bindungen mehr möglich sind. Wird der Teig an diesem Punkt weitergeknetet, so brechen wir Bindungen ohne neue zu formen und zerstückeln das gut vernetzte Glutennetzwerk in seine Einzelteile. Der Teig wird weich und klebrig. Er ist überknetet und ergibt kein gutes Brot mehr. Überkneteter Teig lässt sich nicht mehr retten und gehört in die Tonne.
Neben den Disulfidbrücken spielen Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Glutenproteinen eine untergeordnete Rolle als strukturgebendes Element. Wasserstoffbrücken sind nicht-kovalente Bindungen und deutlich schwächer als Disulfidbrücken. Dennoch helfen Wasserstoffbrücken dabei, den Teig zu stabilisieren. Wasserstoffbrückenbindungen sind thermolabil und bilden sich bevorzugt bei geringen Temperaturen aus. Um sich den stabilisierenden Effekt der Wasserstoffbrückenbindungen optimal zunutze zu machen, sollte man Brotteig idealerweise bei Temperaturen im Bereich von 15 bis 20 °C kneten. Üblich sind Teigtemperaturen im Bereich von 20 bis 35 °C nach dem Kneten. Den Teig kalt zu verkneten bringt Vorteile mit sich, ist aber optional und nicht der Standard.
Struktur eines Weizenkorns. Bildquelle: Adlermühle.
Sowohl Roggen- als auch Weizenkörner bestehen überwiegend aus einem stärkehaltigen Mehlkörper, das Endosperm. Das Endosperm umschließt den Keimling. Das Endosperm ist wiederum von einer ballaststoffreichen Frucht- und Samenschale umgeben.
Vollkornmehl wird hergestellt, indem das Korn als Ganzes feinvermahlen wird. Für die Herstellung von Weißmehl wird der Mehlkörper strikt von den Schalenbestandteilen abgetrennt. Weißmehl ist ärmer an Ballast- und Mineralstoffen als Vollkornmehl, besitzt dafür aber bessere Backeigenschaften. Ballaststoffe stören die Glutenproteine bei der Ausbildung des Glutennetzwerks. Deshalb sind Vollkornbrote kompakter als Weißbrote.
Die Typenzahl eines Mehls gibt an, wieviel Milligramm an Mineralstoffen das Mehl pro 100 Gramm enthält. Je geringer der Mineralstoffgehalt, desto mehr Schalenbestandteile wurden während des Mahlprozesses abgetrennt und desto heller das Mehl. Der Mineralstoffgehalt eines Mehles lässt sich einfach bestimmen, indem man das Mehl verbrennt. Die Mineralstoffe sind nicht brennbar und bleiben als Asche zurück, weshalb der Mineralstoffgehalt oft auch umgangssprachlich als Aschegehalt bezeichnet wird.
Ein Weizenmehl Type 405 enthält 405 Milligramm Mineralstoffe pro 100 Gramm Mehl. Für Vollkornmehle wird in Deutschland in der Regel keine Typennummer angegeben. Weizenvollkornmehl enthält rund 1800 Milligramm Mineralstoffe pro 100 Gramm Mehl, wohingegen Roggenvollkornmehl 1800 bis 2300 Milligramm Mineralstoffe pro 100 Gramm Mehl enthält.
Vollkorn- und Weißmehl im Vergleich
Der Wassergehalt von Weizen- und Roggenkörnern liegt im Bereich von 12 bis 14 %. Die restlichen 86 bis 88 % des Korns sind Trockenmasse. Die Zusammensetzung der Trockenmasse von Weizen- und Roggenkörnern habe ich dir in der untenstehenden Tabelle aufgelistet.
Inhaltsstoff
Gehalt in der Trockenmasse des Weizenkorns in g/100 g
Gehalt in der Trockenmasse des Roggenkorns in g/100 g
Stärke
67 bis 70
55 bis 65
Proteine
12 bis 18
10 bis 15
Pflanzenfasern (Ballaststoffe)
10 bis 13
15 bis 17
Fett
3
2 bis 3
Mineralstoffe (Asche)
2
2
Wie in der obenstehenden Tabelle zu sehen ist, ist Weizenmehl protein- und stärkehaltiger als Roggenmehl, besitzt dafür aber einen geringeren Ballaststoffgehalt. Die untenstehende Tabelle gibt an, wie die Trockenmasse in hellen Weizen- und Roggenmehlen zusammengesetzt ist. Achte besonders auf die Unterschiede im Vergleich zum vollen Korn. Das Weißmehl weist einen höheren Stärkegehalt als das Vollkornmehl auf, ist dafür aber ärmer an Fasern und Mineralstoffen.
Inhaltsstoff
Gehalt in der Trockenmasse von Weizenmehl Type 405 in g/100 g
Gehalt in der Trockenmasse von Roggenmehl Type 997 in g/100 g
Stärke
80 bis 82
77 bis 80
Proteine
10 bis 14
7 bis 10
Pflanzenfasern (Ballaststoffe)
3 bis 5
6 bis 9
Fett
1 bis 2
1 bis 2
Mineralstoffe (Asche)
0,4 bis 0,5
1,1 bis 1,2
Produkte des Mahlvorgangs
Feinvermahlenes Mehl, wie wir es zum Brotbacken verwenden, ist das pulverartige Endprodukt bei der Vermahlung von Getreide und weist die kleinste Partikelgröße auf. Je nach Partikelfeinheit des Mahlprodukts unterscheiden wir in Deutschland zwischen sechs Mahlprodukten. Die in der untenstehenden Tabelle genannten Bezeichnung beziehen sich ausschließlich auf die Partikelgröße des Mahlprodukts, nicht aber auf den Ausmahlgrad oder den Mineralstoffgehalt des Produkts.
Bezeichnung
Partikelgröße
Typischer Verwendungszweck
Mehl (glattes Mehl)
15 bis 150 Mikrometer
Brot, Feinbackwaren, Nudeln, Pfannkuchen
Dunst (griffiges Mehl)
150 bis 300 Mikrometer
Spätzle, Knödel, Strudel, Nudeln
Feingrieß
300 bis 475 Mikrometer
Nudeln
mittlerer Grieß
475 bis 600 Mikrometer
Nudeln
grober Grieß
600 bis 1000 Mikrometer
Grießklößchen, Grießschnitten, Grießbrei
Schrot
Größer als 1 Millimeter
Vollkornbrot
Gröbere Partikel weisen ein besseres Wasseraufnahmevermögen als feine Partikel auf. Ein Teig aus Weizendunst ist bei gleicher Wasserzugabe weniger klebrig als ein Teig aus feinvermahlenem Mehl. Umgekehrt gilt: Je gröber das Mahlprodukt, desto schwerer fällt es dem Teig ein stabiles Glutennetzwerk auszubilden. Für lockere Brote empfiehlt es sich daher, auf feinvermahlenes Mehl zurückzugreifen, damit der Teig besser bindet und so ein besseres Gashaltevermögen aufweist.