In der ersten Lektion sowie in den Lektionen zu Hefe, Gluten und Lipiden habe ich bereits vielfach erwähnt, dass Brotteig ein Schaum ist. Ein Schaum ist eine Dispersion von Gasblasen in einer Flüssigkeit. Im Falle von Brot ist die die Gasblasen umgebende “Flüssigkeit” die wässrige Teigmatrix. Nicht alle Lebensmittel lassen sich aufschäumen, da Gasblasen im Teig stabilisiert werden müssen, um Bestand zu haben.
Der Grund, warum Gasblasen nicht ohne Stabilisatoren wie beispielsweise Glutenproteine oder Fettkristallen bestand haben, liegt darin begründet, dass in den Gasblasen ein Überdruck im Verhältnis zu der umgebenden Flüssigkeit herrscht. Wird diesem Überdruck nicht entgegengewirkt, so entweicht das Gas dem Teig. Im Falle von Weizenbrot bilden die Glutenproteine und auch kristalline Fette eine feste Barriere an der Gasblasenoberfläche, die es verhindert, das Gasblasen dem Teig entweichen.
Der Überdruck in einer Gasblase lässt sich mithilfe der Young-Laplace-Gleichung berechnen. Die untenstehende Formel gilt für kugelförmige Gasblasen, die von einer wässrigen Matrix umschlossen werden:
- Δp = Überdruck in der Gasblase
- γ = Oberflächenspannung
- r = Radius der Gasblase
Die folgenden vier Aufgaben lassen sich mit der Young-Laplace-Gleichung lösen. Du kannst gerne versuchen, die Aufgaben selbst zu lösen, bevor du dir meinen Lösungsweg anschaust. Aber auch wenn du die Aufgaben nicht lösen willst oder kannst, so schaue dir auf jeden Fall meinen Lösungsweg an. Diese Aufgaben dienen nicht dazu, deine Rechenkenntnisse zu testen. Sie dienen dem besseren Verständnis der physikalischen Vorgänge im Brotteig während der Teigfermentation.
Aufgabe 1: Mischen und Kneten des Brotteigs
Ein Weizenbrotteig wird solange geknetet, bis das Glutennetzwerk gut entwickelt ist. Nach dem Mischen misst du die Gasblasengrößenverteilung im unfermentiertem Teig. Hierbei stellt sich heraus, dass die runden Gasblasen im Teig einen Durchmesser von durchschnittlich 0,1 Millimeter aufweisen. Die Oberflächenspannung an der Grenzfläche zwischen Gasblasen und wässriger Teigmatrix beträgt 0,003 N/m. Welcher Überdruck herrscht in den Gasblasen im Teig?
Lösungsweg Aufgabe 1:
Aufgabe 1 lässt sich ganz einfach mithilfe der Young-Laplace-Gleichung lösen:
Konkret sagt dieser Wert aus: Um eine neue Gasblase mit einem Durchmesser von 0,1 Millimeter in die wässrige Teigmatrix einzubringen, muss ein Überdruck von 120 Pascal stabilisiert werden. Je kleiner die Gasblasen, desto höher der Überdruck in den Blasen.
Aufgabe 2: Gasblasenentwicklung während der Teigfermentation
Ein Brotteig wird nach dem Kneten für zwei Stunden gehen gelassen. Der mittlere Gasblasendurchmesser wächst von 0,1 Millimeter auf 0,6 Millimeter an. Wieviel kleiner ist der Überdruck in den Gasblasen im expandierten Brotteig im Verhältnis zum Brotteig nach dem Mischen?
Lösungsweg Aufgabe 2:
Aufgabe 2 lässt sich in gleicher Weise wie Aufgabe 1 lösen:
Die expandierten Gasblasen im Teig nach zwei Stunden besitzen einen sechsfach geringeren Überdruck als die nicht expandierten Gasblasen nach dem Mischen.
Aufgabe 3: Ostwald-Reifung
Da die Natur immer darauf bedacht ist, Überdruck abzubauen, sind Schäume instabil. Für den Schaumzerfall verantwortlich sind zwei Mechanismen:
- Disproportionierung (Ostwald-Reifung): Größere Gasblasen wachsen auf Kosten der kleineren. Gasmoleküle wandern von den kleineren Blasen mit dem höheren Innendruck zu den größeren Blasen mit dem geringeren Innendruck, bis die kleineren Blasen komplett verschwunden sind.
- Koaleszenz: Zwei Gasblasen verschmelzen miteinander und bilden so eine größere Gasblase mit einem geringeren Überdruck als die beiden Ausgangsblasen in Summe aus.
Die Disproportionierung spielt im Brotteig so gut wie keine Rolle, da die Hefe während der Teigfermentation ein Überangebot an Kohlendioxid erzeugt. Das Kohlendioxid lagert sich bevorzugt an größeren Gasblasen mit einem geringeren Überdruck an oder entweicht dem Teig, wenn es im starken Überschuss vorhanden ist. Die kleinen Gasblasen wachsen kaum, verlieren aber auch kein Kohlendioxid an die größeren Blasen, da Kohlendioxid im Überschuss gelöst in der wässrigen Teigmatrix vorhanden ist.
Aufgabe: Ein aufgegangener Brotteig enthält kleinere Gasblasen mit einem mittleren Durchmesser von 0,5 Millimeter und größere Gasblasen mit einem mittleren Durchmesser von 0,8 Millimeter. Welche Druckdifferenz herrscht zwischen den kleinen und großen Gasblasen, die die Gasmoleküle in den kleineren Gasblasen dazu bewegt, zu den größeren Gasblasen zu migrieren, um einen Druckausgleich zu erzielen?
Lösungsweg Aufgabe 3:
In den größeren Gasblasen herrscht ein Unterdruck von 9 Pascal im Vergleich zu den kleineren Gasblasen. Dies bewirkt, dass Gasmoleküle vom Ort des Überdrucks (die kleinen Gasblasen) zum Ort des Unterdrucks (die großen Gasblasen) wandern. Durch ihre Migration bewirken die Gasblasen aber keinen Druckausgleich zwischen den Gasblasen. Ganz im Gegenteil: der Druckunterschied steigt immer weiter an. Irgendwann sind alle Gasmoleküle aus der kleineren Gasblase in die größere Gasblase gewandert, sodass die kleine Gasblase verschwindet. Dieser Vorgang wird Ostwald-Reifung genannt. Er findet im Brotteig gar nicht oder maximal in sehr begrenztem Umfang statt.
Aufgabe 4: Koaleszenz
Im Gegensatz zur Disproportionierung spielt die Koaleszenz eine wichtige Rolle im Brotteig. Wachsen Gasblasen an, so wächst auch deren Oberfläche, die stabilisiert werden muss. Wird das Glutennetzwerk überdehnt, so kann es dazu kommen, dass Glutenstränge reißen und nicht mehr die gesamte Gasblasenoberfläche bedecken. Gasblasen, deren Oberfläche nicht vollumfänglich stabilisiert wird, verschmelzen dann mit benachbarten Gasblasen, die ebenfalls nicht vollständig stabilisiert sind. In fettreichen Teigen wird dieses verschmelzen von Gasblasen verhindert, indem kristalline Fettmoleküle dabei helfen, die Gasblasenoberfläche so gut zu stabilisieren, dass die Gasblasen nicht miteinander zu größeren Blasen verschmelzen. Fettreiche Brote weisen daher eine besonders feine Krumenporung ohne große Löcher auf.
Aufgabe: Du backst Baguettes. Die Baguettes hast du bereits geformt. Du wartest nun, bis sie bereit für den Ofen sind. Während der Stückgare verschmelzen zwei kugelförmige Gasblasen mit Durchmessern von 0,4 und 0,6 Millimetern miteinander. Wieviel geringer ist der Überdruck in der verschmolzenen Blase als die Summe der Überdrücke der beiden einzelnen Blasen?
Lösungsweg Aufgabe 4:
Nun berechnen wir den Radius der verschmolzenen Gasblase:
In der verschmolzenen Gasblase herrscht ein Überdruck von:
Die verschmolzene Blase hat einen um 32 Pascal geringeren Überdruck als die Summe der Überdrücke der beiden Einzelblasen.