Stärke ist ein Energiespeicherstoff pflanzlicher Zellen. Speicherstoffe sind Substanzen, die von einem Lebewesen langfristig gespeichert werden, um zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Stoffwechsel eingespeist zu werden. Einen weiteren wichtigen Speicherstoff der Weizenpflanze haben ich bereits in der vorigen Lektion ausführlich diskutiert: die Glutenproteine.
Die Stärke ist ein Kohlenhydrat, das aus einer langen Kette von Glucosemolekülen zusammengesetzt ist. Glucose ist ein Einfachzucker und die Hauptenergiequelle aller lebenden Organismen. Um Stärke als Energiequelle zu nutzen, wird sie in lebenden Organismen in einzelne Glucosemoleküle aufgespalten, die dann zur Energiegewinnung verstoffwechselt werden.
Stärkemoleküle bestehen aus zwei Untereinheiten:
- Amylose: Das sind Glucoseketten, die linear miteinander vernetzt sind.
- Amylopektin: Das sind Glucoseketten, die in stark verzweigten Strukturen miteinander vernetzt sind.

Weizen- und Roggenstärke setzen sich grob zusammen aus 25 % Amylose und 75 % Amylopektin. Die meisten Stärkearten, wie beispielsweise Maisstärke, Kartoffelstärke und Reisstärke, weisen ein ähnliches Verhältnis von 20 bis 30 % Amylose zu 70 bis 80 % Amylopektin auf. Ausnahmen sind besonders amylopektinreiche Stärken, die im Englischen Waxy Starches genannt werden. Bekannte amylopektinreiche Stärken sind beispielsweise Tapiokastärke (etwa 85 % Amylopektin), Süßkartoffelstärke (etwa 80 bis 85 % Amylopektin) und Klebereisstärke (mehr als 99 % Amylopektin). Es existieren auch gezüchtete und gentechnisch manipulierte Mais- und Kartoffelsorten, deren Stärke komplett amylosefrei ist.
Der Weizen der Zukunft
Waxy Starches, die ausschließlich aus Amylopektin bestehen, sind in der Lebensmittelindustrie beliebt, da sie ein weicheres Gel als herkömmliche Weizen- oder Kartoffelstärke ausbilden. Brote, die mit Waxy Weizen gebacken werden, haben eine wesentlich weichere Krume als Brote, die mit herkömmlichem Weizen gebacken werden. Zudem bleiben Brote aus Waxy Weizen länger frisch, da Gele aus Amylopektin während der Lagerung von Brot deutlich beständiger sind Gele aus Amylose.

Der Grund, warum Brot altbacken wird, ist, dass die Stärke, die im Ofen ein Gel ausgebildet hat, mit der Zeit wieder auskristallisiert. Dieser Vorgang wird Retrogradation genannt. Die Stärkekristalle machen die Brotkrume fester und sorgen dafür, dass Wasser aus dem Stärkegel austritt. Das Brot wird trocken und hart. Dem Feuchtigkeitsverlust der Brotkrume lässt sich vorbeugen, indem man das Brot in einer Plastiktüte aufbewahrt. Die Umgebungsluft in der Plastiktüte ist mit Wasserdampf gesättigt und kann daher das von der kristallinen Stärke freigesetzte Wasser nicht aufnehmen. Nachteil dieser Aufbewahrungsmethode: Die feuchte Brotkrume ist der ideale Nährboden für Schimmelbefall, sodass das Brot rasch verzehrt werden sollte. Wer Brot lange ohne Qualitätsverlust frischhalten möchte, der friert es am besten ein.
Das Rekristallisationsverhalten von Amylose und Amylopektin unterscheidet sich. Amyloseketten kristallisieren, unmittelbar nachdem das Brot aus dem Ofen genommen wurde, rasch wieder aus. Das amorphe Amylopektinnetzwerk ist wesentlich beständiger und kristallisiert über einen mehrwöchigen Zeitraum nach und nach aus. Dies ist der Grund, warum Brote aus amylosefreiem Waxy Weizen länger weich und saftig bleiben.
Übrigens: Die Retrogradation der Stärke lässt sich teils wieder rückgängig machen, indem man altbackenes Brot erwärmt. Ideal hierfür ist eine Mikrowelle, da dem Brot so keine Flüssigkeit entzogen wird. Wird altbackenes Brot für einen kurzen Zeitraum sanft in der Mikrowelle erwärmt, so wird es zumindest temporär wieder weicher, da vor allem kurzkettige kristalline Regionen des Amylopektinnetzwerks erneut in den amorphen Zustand übergehen.
Warum essen wir trotz der verbesserten Frischhaltung kein Brot aus Waxy Weizen in Deutschland? Der Hauptgrund ist, dass Waxy Weizen sich noch in der Entwicklung befindet. Er wird noch nicht großflächig in Europa angebaut und die Entwicklung wirtschaftlicher Sorten ist innerhalb der Europäischen Union erheblich erschwert, da in Europe eine irrationale Abneigung gegenüber der gentechnischen Manipulation von Nutzpflanzen herrscht. Führend in der Entwicklung von Waxy Weizensorten sind Japan und die USA.

In der Regel wird der kommerziell angebaute Waxy Weizen mit herkömmlichem Weizenmehl vermischt, um die Frischhaltung zu verbessern. Ein Brotteig aus reinem Waxy Weizen ist viel klebriger als ein Teig aus herkömmlichem Weizenmehl, was ihn nicht besonders maschinenfreundlich macht. Jeder, der schonmal mit Klebereismehl hantiert hat, weiß, wieviel klebriger Waxy Starch im Vergleich zu herkömmlicher Speisestärke ist. Ein bekanntes Beispiel für ein Produkt aus Waxy Starch sind japanische Klebereiskuchen, Mochi, die eine zähklebrige Konsistenz aufweisen.
Die Stärke und der Kleister
Ihren Hauptauftritt hat die Stärke, wenn das Brot im Ofen gebacken wird. Bei Temperaturen über 45 °C beginnen die Stärkemoleküle damit stark anzuschwellen, platzen dann bei Temperaturen zwischen 55 und 85 °C und bilden ein Gel aus: den Stärkekleister. Wird die Verkleisterungstemperatur der Stärke überschritten, so nimmt die Viskosität im Brotteig rapide zu. Der Brotschaum ist nun gefestigt. Ist die Stärke erst einmal verkleistert, so geht das Brot im Ofen nicht weiter auf. Es behält seine aktuelle Form bei und wird nun noch solange ausgebacken, bis die Krustenfarbe schön Goldbraun ist.
Die Verkleisterungstemperatur der Stärke lässt sich sehr einfach bestimmen. Dies ist der Punkt, an dem die Viskosität einer stärkehaltigen Dispersion wie beispielsweise Brotteig rapide ansteigt, da die Stärkekörner aufplatzen. Roggenstärke verkleistert bei Temperaturen zwischen 55 bis 70 °C, wohingegen Weizenstärke erst bei Temperaturen zwischen 65 bis 80 °C verkleistert. Konkret heißt das: Weizenteige zeigen mehr Ofentrieb als Roggenteige. Es dauert länger, bis sich die Struktur von Weizenteigen im Ofen gefestigt hat.
Die niedrigere Verkleisterungstemperatur von Roggenstärke bringt einen weiteren ganz besonderen Nachteil mit sich: Roggenbrote sind besonders anfällig für einen enzymbedingten Brotfehler: die klitschige Krume. Ein Brot mit klitschiger Krume klebt an den Zähnen beim Kauen fest und fühlt sich unangenehm feucht im Mund an. Der Grund hierfür ist, dass zu viel Stärke enzymatisch abgebaut wurde. Hauptverantwortlich hierfür sind die Amylasen, die beschädigte Stärkekörner angreifen.
Ein Teil der Stärke (etwa 5 bis 12 %) wird bei der Vermahlung von Getreidekörnern zu Mehl mechanisch beschädigt. Diese beschädigte Stärke wird während der Teigfermentation von den mehleigenen und eventuell extra zugegebenen Amylasen in Zuckermoleküle abgebaut. Diese Zuckermoleküle dienen als Futter für die Hefe und geben dem Brot eine schöne goldbraune Kruste beim Backen.

Was passiert nun, wenn die Stärke im Ofen verkleistert? Die Stärkekörner platzen! Ein Traum für die Amylasen, da jetzt die komplette Stärke im Teig beschädigt ist und schutzlos den Amylasen ausgeliefert wird. Aber es kommt noch schlimmer: Die Enzymaktivität ist stark temperaturabhängig. Mehleigene Amylasen besitzen ein Aktivitätsmaximum im Bereich von 50 bis 70 °C und werden erst bei etwa 80 °C inaktiviert. Die Amylasen im Roggenteig haben daher deutlich länger Zeit, die geplatzten Stärkekörner anzugreifen, als es bei Weizenteigen der Fall ist, wo die Stärkekörner erst bei 10 bis 20 °C höheren Temperaturen aufplatzen. Der enzymatische Abbau der verkleisterten Stärke setzt Wasser frei: Die Brotkrume wird klitschig und klebrig.
Ursachen für eine übermäßige Enzymaktivität im Teig
Mehle, die wir von einer Mühle oder im Supermarkt kaufen, werden auf deren Amylaseaktivität hin getestet. Mehle, die eine zu hohe oder niedrige Enzymaktivität aufweisen, kommen gar nicht erst in den Handel. Schuld für eine klitschige Krume ist oftmals nicht das Mehl an sich, sondern eine Überdosierung von enzymaktivem Backmalz.
Traditionell hergestelltes Backmalz ist ein Naturprodukt, das gersten-, weizen- oder roggeneigene Amylasen enthält. Die Amylasen können durch Hitzebehandlung des Malzes inaktiviert werden. Man spricht dann von inaktivem Malz oder Aromamalz. Allerdings ist dies in der Regel nicht gewollt, da die Amlyasen auch teigverbessernde Eigenschaften mit sich bringen, auf die ich einer zukünftigen Lektion im Detail eingehen werde. Viele Hobbybäcker backen mit aktivem Malz, um die Enzymaktivität im Teig zu erhöhen und so ein besseres Backergebnis zu erzielen.
In der industriellen Herstellung von Brot ist traditionell hergestelltes enzymaktives Malz hingegen nicht existent. Die Backindustrie schwört auf inaktive Malze, denen die passenden Enzyme dann nach Bedarf zugegeben werden. Warum inaktiviert man die getreideeigenen Enzyme nur, um dann später wieder neue Enzyme zuzugeben? Erster Grund: Produktionssicherheit und ein immer gleichbleibendes Produkt. Zweiter Grund: Nicht alle Amylasen sind gleich. Werfe einen Blick in die untenstehende Tabelle. Welche der dort gelisteten Amylasen eignet sich wohl am besten zum Brotbacken?
Enzym | Aktivitätsmaximum in °C | Inaktivierungstemperatur in °C |
---|---|---|
Weizen Alpha-Amylase | 50 bis 70 | 80 |
Bakterielle Alpha-Amylase | 60 bis 80 | 90 bis 100 |
Pilz Alpha-Amylase | 55 bis 60 | 65 |
Richtig, es ist die aus Pilzen gewonnene Alpha-Amylase. Diese hat ihr Aktivitätsmaximum bei der niedrigsten Temperatur und wird auch am schnellsten im Ofen inaktiviert. Das heißt konkret: Wir müssen uns deutlich weniger sorgen machen, dass die verkleisterte Stärke durch eine übermäßige Amylaseaktivität geschädigt wird. Industrielle Backmittel sind eine Art optimierter Backmalz. Genau aus diesem Grund backe ich zuhause so gut wie gar nicht mehr mit traditionell hergestelltem enzymaktiven Malz. Ein Backmittel kann alles, was traditionelles Malz auch kann, nur besser!
Die Inhaltsstoffe von Backmitteln und deren technologische Wirkung sind dann aber ein Thema für ein andermal. In dieser Lektion ist es nur wichtig, verstanden zu haben, dass die Stärkekörner im Ofen aufplatzen und verkleistern. Die Rekristallisierung der Stärke nach dem Backen, die Retrogradation, bewirkt, dass das Brot hart wird und Wasser aus dem Stärkegel austritt. Das freigesetzte Wasser wird von der Umgebungsluft aufgenommen. Das Brot trocknet aus.