Lipide sind Moleküle, die sich in Wasser gar nicht oder nur extrem schwer lösen lassen. Lipide werden als wasserabweisend – hydrophob – bezeichnet. Umgangssprachlich werden Lipide oft mit dem Begriff Fett gleichgesetzt. Streng genommen sind die Fette aber nur eine Untergruppe der Lipide.
Neben den Fetten zählen beispielsweise auch Wachse, Steroide, Carotinoide, freie Fettsäuren und fettlösliche Vitamine zur Stoffgruppe der Lipide. Das alles sind aber nur einige wenige Beispiele für Mitglieder der extrem vielfältigen Stoffklasse der Lipide.
Die Lipide im Brotteig lassen sich unterteilen in:
- mehleigene Lipide
- Fette und Öle (z.B. Butter, Schweineschmalz, Sonnenblumenöl)
- grenzflächenaktive Stoffe, im Englischen Surfactants genannt (umgangssprachlich oft als Emulgatoren bezeichnet)
Diese Lektion beschäftigt sich ausschließlich mit den mehleigenen Lipiden sowie den Fetten und Ölen. Die technofunktionellen Eigenschaften grenzflächenaktiver Stoffe werde ich in einer Extralektion zu Emulgatoren als Backmittel im Detail erläutern.
Die technofunktionellen Eigenschaften der mehleigenen Lipide im Brotteig
Welche Lipide finden sich im Weizenmehl?
Weizenmehl enthält etwa 2 bis 2,5 Gramm mehleigene Lipide pro 100 Gramm Mehl. Die mehleigenen Lipide lassen sich grob unterteilen in polare und unpolare Lipide. Die polaren Lipide sind hauptsächlich Membranlipide, wohingegen die unpolaren Lipide Fette, Mono- und Diglyceride sowie freie Fettsäuren sind. In polaren Molekülen sind die Elektronen ungleichmäßig verteilt. Dies sorgt dafür, dass polare Moleküle Ladungsschwerpunkte aufweisen. In unpolaren Molekülen hingegen ist die Ladung über das gesamte Molekül hinweg gleich verteilt.
In der Chemie gilt der Grundsatz: Gleiches löst sich in Gleichem. Dennoch sind auch polare Lipide nicht im ebenfalls polaren Lösungsmittel Wasser löslich. Der unpolare Anteil in den polaren Lipiden ist immer noch so groß, dass auch polare Lipide wasserabweisend sind. Der Begriff polare Lipide ist nur ein Indikator dafür, dass diese Lipide etwas weniger wasserabweisend sind als unpolare Lipide.
Neben der Unterteilung in polare und unpolare Lipide lassen sich die Weizenlipide auch unterteilen in freie und gebundene Lipide. Für das Brotbacken interessant sind die freien Lipide. Die gebundenen Lipide sind bereits fest an verschiedene Mehlbestandteile wie beispielsweise die Stärke oder Funktionsproteine gebunden und greifen nicht aktiv in den Backprozess ein.
Was bewirken die freien Weizenlipide im Brotteig?
Ein Teil der freien Weizenlipide bindet beim Mischen und Kneten des Teiges an die Glutenproteine oder wird von diesen eingeschlossen (siehe untenstehende Abbildung).
Freie Lipide binden während der Misch- und Knetphase an Teigbestandteile wie beispielsweise die Glutenproteine oder Stärke. Bildquelle: Wiley Online Library
Die mit dem Glutennetzwerk assoziierten Weizenlipide machen die Glutenproteine ein Stück weit wasserabweisender. Glutenproteine sind amphiphile Moleküle. Sie weisen sowohl wasserabweisende (hydrophobe) als auch wasserliebende (hydrophile) Bereiche auf.
Wie bereits in der ersten Lektion erwähnt, koexistieren in einem Schaum wie beispielsweise Brotteig zwei Phasen:
- die kontinuierliche Phase: die wässrige Teigmatrix
- die dispergierte Phase: die eingeschlossenen Gasblasen
Glutenproteine als amphiphile Moleküle umschließen die Gasblasen im Teig. Der Grund: Die wasserabweisenden Bereiche der Proteine fühlen sich an der Oberfläche der Gasblasen wohl, da sie nicht mit Wasser in Kontakt treten möchten. Die wasserliebenden Bereiche der Glutenproteine hingegen fühlen sich in Umgebung der wässrigen Teigmatrix wohl, sodass sie an der Grenzfläche von den Gasblasen weg zur wässrigen Teigmatrix hin sich anordnen. Eine Win-Win-Situation für die wasserabweisenden als auch für die wasserliebenden Bereiche, da sie sich beide gleichzeitig in vertrauter Umgebung aufhalten können.
Freie Weizenlipide, die während des Mischen und Kneten des Teiges an die Glutenproteine binden oder von diesen eingeschlossen werden, ermöglichen es dem Glutennetzwerk eine größere Gasblasenoberfläche zu stabilisieren. Der Grund: Je mehr wasserabweisende Bereiche die Glutenproteine aufweisen, desto mehr Fläche haben sie zur Verfügung, mit der Sie sich an der Gasblasenoberfläche anlagern können. Weizenmehl mit einem hohen Anteil freier Lipide, die an das Glutennetzwerk binden, bildet Teige aus, die Gasblasen besser stabilisieren können als Mehl mit einem hohen Anteil anderweitig gebundener Lipide. Das Resultat sind luftig leichte Brötchen mit viel Volumen.
Um noch mehr ins Detail zu gehen: Die polaren freien Lipide sind es, die dabei helfen, Gasblasen zu stabilisieren. Die unpolaren freien Lipide hingegen destabilisieren Gasblasen. Der Grund hierfür: Den polaren freien Lipiden fällt es leichter an die Glutenproteine, welche ebenfalls viele polare Bereiche aufweisen, zu binden. Viele unpolare freie Lipide hingegen verbleiben als freie Moleküle im Teig und lagern sich alleine an der Gasblasenoberfläche an. Die unpolaren Lipide treten in Konkurrenz mit den Glutenproteinen an der Grenzfläche, was zu einer Destabilisierung der Gasblasen führt.
Eine weitere Theorie dafür, wie freie Lipide – die an das Glutennetzwerk binden – Gasblasen im Teig stabilisieren, besagt, dass die Lipide Brücken zwischen dem Gluten und der Stärke ausbilden. Diese Brücken machen das Glutennetzwerk und somit auch den Teig fester, wodurch Gasblasen besser stabilisiert werden können.
Zudem helfen Lipide dabei, ein stärkeres Glutennetzwerk auszubilden, da sie die elektrostatische Abstoßung zwischen den Glutenproteinen reduzieren, da negativ geladene Bereiche der Lipide positiv geladene Bereiche der Glutenproteine bedecken. Stoßen sich die Glutenproteine weniger voneinander ab, so fällt es ihnen leichter, in engen Kontakt zu treten und so ein starkes Netzwerk auszubilden. Diesem Phänomen sind wir bereits in der Lektion zu Salz begegnet, da negativ geladenen Chloridionen ebenfalls sich abstoßende positive geladene Bereiche der Glutenproteine neutralisieren können.
Weizenlipide als natürliche Farbstoffe
Neben der Stabilisation der Teigmatrix und von Gasblasen ist ein Teil der Weizenlipide, die Carotinoide verantwortlich für die natürliche gelbliche Färbung der Brotkrume. Die Carotinoide sind Farbpigmente, wie man sie auch in beispielsweise Karotten (orange) und Tomaten (rot) vorfindet. Aber Achtung: Die Carotenoide sind besonders empfindlich für einen oxidativen Abbau. Wer eine besonders goldgelbe Krume erreichen möchte, der sollte den Teig gar nicht (“no knead”), sanft oder gegebenenfalls sogar unter Sauerstoffausschluss, beispielsweise in einer Stickstoffatmosphäre kneten.
Die technofunktionellen Eigenschaften der Fette und Öle im Brotteig
Was passiert mit zugegebenen Fetten und Ölen im Brotteig?
Wie auch die freien mehleigenen Lipide können dem Teig zugegebenen Fette und Öle an die Glutenproteine binden. Allerdings ist die Anzahl an freien Bindungsstellen im Glutennetzwerk begrenzt, sodass zugesetzte Fette mit den mehleigenen freien Lipiden um Bindungsplätze konkurrieren. Konkret heißt das: Ein Großteil des zugegebenen Fetts bindet nicht an das Gluten, sondern liegt frei im Teig vor.
Was machen die freien Fette im Teig? Zum einem umschließen sie Glutenstränge, was dazu führt, dass der Teig plastischer wird. Das Glutennetzwerk kann sich weniger gut quervernetzen und bildet mehr dünne und leicht dehnbare Glutenstränge aus. Bestes Beispiel: Strudelteig, der sich dank dem Öl besonders gut ausziehen lässt, ohne dass der Teig viel Widerstand beim Ausziehen zeigt.
Wer hingegen Schweineschmalz anstatt Öl in den Strudelteig gibt, der erfährt ein anderes Phänomen: Der Teig reißt extrem schnell. Der Grund: Fettkristalle in der Teigmatrix mindern die Dehnbarkeit. Kristalline Fette geben Brot einen kurzen Biss, weshalb im Englischen gehärtete Pflanzenfette Shortening genannt werden.
Die Vorteile von kristallinem Fett gegenüber flüssigem Öl
Eine besonders tolle Funktion der kristallinen Fette ist, dass diese mithelfen bei der Gasblasenstabilisierung im Brotteig. Flüssige Öle können dies nicht! Flüssige Öle lagern sich wie kristalline Fette auch an der Gasblasenoberfläche an und destabilisieren diese, da flüssige Öle keine feste Barriere bilden können, um die Gasblasen zu stabilisieren. Die kristallinen Fette hingegen bilden Komplexe mit den Glutenproteinen an der Gasoberfläche und helfen dabei, eine stabile Barriere zwischen Gasblase und Teigmatrix aufzubauen.
Brote mit viel zugegebenem kristallinem Fett, wie beispielsweise Hefezopf oder Brioche, sind luftig weich mit einer wattigen Krume. Dennoch finden sich in solchen Teigen keine großen Luftblasen. Warum? Die kristallinen Fette helfen dabei, viele kleine Gasblasen zu stabilisieren und hindern diese daran, mit anderen Gasblasen zu verschmelzen.
Viele kleine Gasblasen im Teig sorgen dafür, dass eine riesige Grenzfläche stabilisiert werden muss. Kann nicht die gesamte Grenzfläche mithilfe einer festen Barriere aus Glutenproteinen und Fettkristallen stabilisiert werden, so verschmelzen Gasblasen miteinander. Im Teig befinden sich dadurch weniger, dafür aber größere Gasblasen, die in Summe eine geringere Grenzfläche aufweisen als viele kleine Gasblasen. Dies ist beispielsweise im Baguette der Fall, wo die Porung der Krume offen und ungleichmäßig ist. Dem Baguetteteig wird traditionell kein Fett zugegeben.
Im Briocheteig hingegen wird mit viel kristallinem Butterfett gearbeitet. Freie Fettkristalle sind im Überschuss vorhanden, die sich an der Grenzfläche von kleinen Gasblasen anlagern können und diese daran hindern, mit anderen Gasblasen zu verschmelzen. Das Ergebnis ist eine Brotkrume, die mehr, dafür aber viel kleinere Poren als die Baguettekrume aufweist. Eine Scheibe Brioche lässt sich super mit Marmelade bestreichen, da sie keine großen Löcher wie das Baguette enthält. Dies verdanken wir dem kristallinen Butterfett.
Ein weiterer kleiner Bonus von Fetten und Ölen ist, dass sie das Altbackenwerden von Backwaren etwas hinauszögern können. Der Grund: Das Fett bildet eine Art Barriere, die es dem Wasser erschwert, dem Brot während der Lagerung zu entfliehen.